: Jazz ist keine Pfeife
■ Der Saxophonist Branford Marsalis ist auf Deutschlandtournee
Ceci n'est pas une pipe“ — „Dies ist keine Pfeife“ —, schrieb der belgische Surrealist René Magritte unter eines seiner bekanntesten Bilder. Das Bild zeigte eine Pfeife! Sogar der französische Strukturalist und Querdenker Michel Foucault widmete sich der Frage, ob diese Aussage wahr oder unwahr sei und stellte eine „zirkulierende Gleichartigkeit“ der beiden gegensätzlichen Aussagen „Dies ist eine Pfeife“ und „Dies ist keine Pfeife“ fest.
Was hat dieses surrealistische Pfeifen-Orakel mit dem Saxophonisten Branford Marsalis zu tun? Marsalis behauptet von seiner Musik: „Dies ist Jazz.“ Einige Kritiker halten dagegen: „Dies ist kein Jazz.“ Sie verübeln dem 31jährigen Amerikaner, daß er in der Band des Müsli- Rockers Sting spielte und mit den Rappern Public Enemy und Gang Starr Platten aufnahm. Für Puristen ist es anscheinend undenkbar, daß ein Musiker, der manchmal „keinen Jazz“ spielt, auch „richtigen Jazz“ spielen kann.
Dieses Vorurteil ist absurd, auf Branford Marsalis trifft es schon gar nicht zu. Der ältere Bruder des Trompeten-Superstars Wynton Marsalis verfügt nicht nur über ein breites Fundament ausgereifter Technik, die im traditionellen Jazz verwurzelt ist, sondern arbeitete auch schon mit Jazz-Heroen wie Miles Davis, Dizzy Gillespie und Max Roach zusammen. Der Pianist Herbie Hancock beschrieb Marsalis' Art, Soli zu spielen, voller Bewunderung: „Er geht bis zum Rand des Abgrunds und beugt sich dann noch nach vorne!“
In der Alten Oper Frankfurt, wo das Branford-Marsalis-Trio den ersten Auftritt seiner Deutschlandtour zelebrierte, beugte er sich nicht weit genug vor: Branford Marsalis blieb weit hinter dem zurück, was er auf seinen Platten bietet. Stimmig war lediglich die „Attitüde“ des Jazz, die er bis ins Detail beherrscht. Im stilvollen Ambiente des holzgetäfelten großen Saals präsentierte er sich und seine beiden Mitstreiter wie Bilderbuch-Jazzer. Elegante Anzüge, schicke Rollis, eine schrill gemusterte Krawatte, Barhocker und klingende Zitate aus der fast neunzigjährigen Jazz-Geschichte wiesen die Musiker als blendende Traditionalisten aus. Von Blues über Swing bis Bop ließen sie nichts aus, konnten aber nur selten Genialität aufblitzen lassen.
Das Publikum schien sich daran nicht zu stören. Die Frankfurter Jeunesse dorée — oder wer sich dafür hielt — hatte sich in ihre besten Klamotten geschmissen, um dem Trend- Schlachtruf „Jazz ist im Kommen“ Tribut zu zollen, und war hemmungslos begeistert! Jede noch so minimale Lebensäußerung, die von der Bühne drang — Grinsen wegen häufigen Verspielens oder das Aufheben einer Plastikflasche —, wurde mit donnerndem Applaus belohnt. Hätte einer der Akteure Feuer gespuckt oder sich ein Bein abgehackt, das Publikum hätte sich bestimmt zu Standing ovations aufgerafft.
Auch Marsalis' Begleitmannschaft hinterließ einen zwiespältigen Eindruck. Die Qualitäten des Bassisten Robert Hurst lagen vorwiegend im Styling-Bereich: Lobenswerte Harmonie stellte sich lediglich zwischen dem Farbton seines Rollkragenpullovers und dem zarten Braun seines Instruments ein. Er verspielte sich häufig und pflegte eine wenig glückliche Liebe zu geraden Taktbetonungen, die das rhythmische Gerüst oft wie den Trauermarsch einer fußkranken Bergwerkskapelle klingen ließen.
Schlagzeuger Jeff „Tain“ Watts, ein feistes Kraftpaket, vergaloppierte sich zu Beginn des Abends oft in öde Rolls, die allesamt aus Großmutters Jazzrock-Giftschrank stammten. Er bollerte fröhlich vor sich hin und ließ uns erst zu vorgerückter Stunde erfahren, daß weniger oft mehr ist.
Branford Marsalis gelangen auf dem Tenorsaxophon, vorwiegend bei Balladen, schöne Miniaturen, auch die Einstiege nach Soli seiner Kollegen hatten Brillanz. Dann konnte er sehr schnell Spannung aufbauen, die ihm aber bald wieder unter den Fingern zerrann. Sein Ton, der zu Beginn des Abends eher kratzbürstig klang, wurde immer voller und ließ seine ungeschlacht klingenden Hardbop-Einlagen schnell verblassen. Überzeugen konnte er auf dem Sopransaxophon, das er wie eine Klarinette jubilieren ließ und mit dem er die Band tatsächlich zum Swingen animierte. Dazwischen muhte er ohne Instrument wie ein liebeskranker Außenbordmotor, was die willfährigen Zuhörer zu wahren Begeisterungsstürmen hinriß.
Trotz der gnadenlosen Bereitschaft, sich zu amüsieren, schien das Publikum nach zwei Stunden die Lust zu verlieren. Immer öfter wurden Hände zum Mund geführt, um Gähnanfälle zu unterdrücken. Die cleveren Zuhörer retteten sich — wie konnte es anders sein — durch regelmäßig aufbrandenden Beifall vor dem Einschlafen.
So war denn auch nach einer Zugabe der Ofen aus. Artig applaudierend hangelte sich die Besucherschar aus dem bequemen Gestühl und strebte, mit einem Lullaby von Herrn Marsalis versehen, der heimischen Bettstatt entgegen. Willy Theobald
Weitere Tourdaten: 6.5. Hamburg, 7.5. Hannover, 8.5. München, 9.5. Düsseldorf, 14.5. Mannheim
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