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Die Nato hält am „Feind im Osten“ fest

Neues Strategiepapier beinhaltet weiterhin Prinzip der atomaren Abschreckung/ Atomare Zielorte in der Sowjetunion bleiben  ■ Von Andreas Zumach

Die Nato „streckt die Hand zur Freundschaft mit der Sowjetunion aus“. Solche und ähnliche Beteuerungen fanden sich spätestens seit dem Londoner Nato-Gipfel im Juli 1990 häufig in den Erklärungen der westlichen Militärallianz. Die Planungen für die künftige friedlichere Praxis des westlichen Bündnisses machen diese schönen Sätze zur Makulatur. Die Sowjetunion bleibt auch weiterhin Hauptgegner in Europa. Um ihn auch in Zukunft durch Bedrohung abzuschrecken, sollen in den nächsten Jahren neue, effizientere Atomwaffen in Westeuropa — auch in der Bundesrepublik — stationiert werden.

Das geht aus dem bis auf einige Details fertiggestellten Dokument für eine „neue“ Nato-Strategie hervor, das die 16 Regierungschefs in London in Auftrag gegeben hatten. Es soll Ende Mai von den Verteidigungsministern der Allianz gebilligt und dann bei einem erneuten Treffen der 16 Regierungschefs verabschiedet werden.

In dem 31seitigen Dokument — von einer „Sondergruppe“ im Brüsseler Nato-Hauptquartier erarbeitet — wird die Sowjetunion wie bislang als „Hauptbedrohung für die Sicherheit in Europa“ identifiziert. Als Gründe werden nicht nur das „nach wie vor erhebliche Militärpotential“ der UdSSR, sondern auch ihre „instabile“ innere Lage angeführt. Deshalb bleibt es bei der Zielplanung für Atomwaffen der Nato gegen Objekte auf sowjetischem Territorium. Lediglich Ziele auf dem Gebiet der anderen osteuropäischen Staaten will man nun streichen.

Auf dem Londoner Gipfel hatte die Nato angekündigt, ihre Atomwaffen in Zukunft nur noch als „letztes Mittel“ (last resort) einzusetzen. Im Dokument für die neue Strategie hört sich das anders an: auch künftig behält sich die Nato vor, diese Massenvernichtungsmittel zu jedem von ihr für notwendig gehaltenen Zeitpunkt während eines Konflikts einzusetzten. Das bislang reklamierte „Recht“ zum Ersteinsatz beziehungsweise zu einem frühen Einsatz von Atomwaffen bleibt ausdrücklich Bestandteil der „neuen“ Strategie“.

Da ein Angriff konventioneller Streitkräfte aus Osteuropa als Bedrohungsszenario weitgehend weggefallen ist, entfällt auch die Begründung für die weitere Stationierung atomarer Artillerie und Kurzstreckenraketen in Westeuropa. Sie sollen nicht erneuert werden und im Rahmen einer Umstrukturierung des Atomwaffenarsenals der Nato zu einem noch nicht genau festgelegten Zeitpunkt Mitte der neunziger Jahre ganz verschwinden. Es besteht noch kein Konsens unter den Bündnispartnern, inwieweit dieser Schritt unilateral oder als Ergebnis von Verhandlungen mit der Sowjetunion erfolgen soll. Ursprünglich hatte die Nato den Verhandlungsbeginn für die erste Hälfte dieses Jahres angekündigt. Doch noch gibt es in Brüssel keine Einigung auf ein Verhandlungsmandat.

Das Strategie-Dokument enthält jedoch die — auch von Bonn mitgetragene — ausdrückliche Verpflichtung, die atomaren Waffen der Nato „auf dem neuesten Stand zu halten, wo immer dies notwendig ist“. Dahinter verbirgt sich die Option für die ab Mitte der 90er Jahre vorgesehene Einführung neuer atomarer Fallbomben und Abstandsraketen für Kampfflugzeuge sowie von Cruise Missiles für Schiffe in westeuropäischen Gewässern. Mit diesen Waffen können dann die Ziele in der UdSSR, aber auch in anderen Regionen bedroht werden.

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