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Kaum Integration der Behinderten

■ Integration von Behinderten in Kitas, Schulen oder Firmen wird zwar thematisiert, praktische Projekte sind jedoch selten/ Im Osten leben noch immer Behinderte in Altersheimen und Krankenhäusern

Berlin. In Ostdeutschland werden geistig behinderte Kinder gut eineinhalb Jahre nach der Wende noch immer in Altersheimen und Krankenhäusern untergebracht. Im Westen kritisieren Eltern von Behinderten zunehmend die Trennung ihrer Kinder von Nichtbehinderten. Das Thema Integration von Behinderten in Kitas, Schulen und Firmen gewinnt zwar an Bedeutung, doch praktische Projekte sind selten. Ihre Erfahrungen mit diesen Problemen tauschten Freitag und heute in Berlin rund 1.500 Eltern auf dem Bundeselterntreffen aus.

Der neunjährige Willi aus Prenzlauer Berg ist mongoloid und im Alter von drei Jahen in eine Fördertagesstätte in Ostberlin gekommen. Dort kümmerten sich drei Erwachsene um fünf behinderte Kinder. Aber zwischen den Kindern gab es praktisch keine Kommunikation, sie wurden einfach „verwaltet“. Dabei hatte Willi noch großes Glück. Viele Behinderte wurden in Krankenhäuser und Altersheime abgeschoben.

Auch heute noch, so Angela Plentz vom Begegnungszentrum für Behinderte und Nichtbehinderte in Friedrichshain, leben allein in Ostberlin rund 100 Behinderte in Krankenhäusern und mindestens 20 junge Behinderte in Altersheimen. Die Krankenhäuser wollen die Behinderten jetzt loswerden, weil die Versicherungen nicht mehr bezahlen. Aber andere Einrichtungen gibt es noch nicht in ausreichender Zahl.

Die Umstrukturierung fällt schwer: Integrations-Schulen und -Kindertagesstätten machen nur Sinn, wenn die Betroffenen von klein auf dort untergebracht werden. Elterninitiativen zum Erfahrungsaustausch sind in den neuen Bundesländern auch heute noch selten, und die Behörden sind „total überfordert und durcheinander“. Beim Beantragen von Pflegegeldern werden die Eltern „hin- und hergeschickt“, sagt Douglas Ross, Vorstandsmitglied des Westberliner Vereins „Eltern für Integration“. Die Idee der Integration ist jetzt 15 Jahre alt. Fachleute wollten in den 70er Jahren behinderte Kinder in die regulären Schulen integrieren und sie dort speziell fördern. Statt der „Schonräume für Behinderte“ stand das gemeinsame Lernen im Mittelpunkt. Das Modell wurde dann auch in einige Schulen übernommen.

Huw, 14 Jahre, war in einer der ersten städtischen Integrations-Kitas in Westberlin. Trotz seiner Sprachbehinderung lernte Huw, sich mit Gesten und Blicken mit seinen Altersgenossen zu verständigen. Doch nach der Kita war die Integration für ihn zu Ende, keine Integrations- Schule wollte ihn aufnehmen. Heute ist er in einer Spezialeinrichtung für autistische Kinder. Mit Nichtbehinderten wird er erst nach der Schule wieder zusammenkommen.

Für Sarah aus Berlin-Reinickendorf steht die Suche nach einer Integrations-Schule in zwei Jahren an. Sie ist fünf Jahre alt, hat ein seltenes Syndrom und wurde als lernbehindert eingestuft. Nach fünf Absagen hatte ihre Mutter vor zwei Jahren eine Integrations-Kita gefunden. Ob Sarah in zwei Jahren auf eine Integrations-Schule gehen kann, ist ungewiß. Das Berliner Schulgesetz macht seit Februar 1991 Integrations-Schulen zwar möglich, doch am Finanzloch droht eine Verwirklichung zu scheitern. Rochus Görgen (dpa)

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