Die deutsche Narbe verheilt nur langsam

■ Die ehemalige Grenze ist immer noch sichtbar/ Räumungsarbeiten verzögern sich/ Lokalpolitiker und Umweltschützer wollen Teile des unbenutzten Geländes zu Naturparks umwidmen/ Grenztürme bleiben als Mahnmal der Teilung erhalten

Berlin (dpa) — Eineinhalb Jahre nach Öffnung der Mauer ist die ehemalige Grenze zwischen Deutschland West und Deutschland Ost noch weithin erkennbar. Die 1.378 Kilometer lange einstige „Staatsgrenze zur BRD“ zieht sich wie eine Narbe mitten durchs Land. Auf vielen Plätzen stehen noch die Zeugnisse der hochgerüsteten Grenzsicherungen. Die künftige Nutzung des breiten ehemaligen Grenzstreifens ist noch weitgehend ungeklärt. Lokalpolitiker und Umweltschützer wollen Teile des jahrzehntelang nur von Grenztruppen benutzten Geländes zu Naturschutzparks umwidmen.

Auf vielen ehemaligen Grenzabschnitten sind die Sperrzäune inzwischen verschwunden, die Autosperranlagen weggesprengt und die Schlagbäume abgeräumt. Als Mahnmale der über 40jährigen Teilung stehen aber an vielen Orten noch die Grenztürme, von denen aus früher Soldaten der Nationalen Volksarmee die Demarkationslinie Tag und Nacht überwachten und „Republikflüchtlinge“ mit Waffengewalt zurückhielten.

Im Harz bei Eichenberg ragen noch weiß-graue Betonpfähle kilometerweit sichtbar aus dem Unkraut hervor. Am ehemaligen Grenzübergang Duderstadt sieht es so aus, als seien die DDR-Grenztruppen gerade mal zum Mittagessen weggegangen. Dort zeigen sich noch die Überbleibsel des Kalten Krieges: Auf der Kuppe des 1.142 Meter hohen Brockens im Ostharz ist immer noch eine Einheit der sowjetischen Armee stationiert. Auf dem direkt an der ehemaligen Grenze liegenden 971 Meter hohen Wurmberg haben sich — immer noch bei absoluter Geheimhaltung — westliche Militärs eingerichtet.

Die Abräumarbeiten kommen nur langsam voran. Im Bereich des Auflösungskommandos der Dienststelle Stendal zum Beispiel, die für das Gebiet von der Ostsee bis zum Harz zuständig ist, sind von 560 Kilometern Sperrzäunen erst 180 Kilometer vollständig abgerissen. Schon jetzt steht fest, daß die Arbeiten bis zur Auflösung der aus ehemaligen Angehörigen der DDR-Grenztruppen und der Bundeswehr bestehenden Abräumtruppen am 30. September nicht beendet sein werden. Die Aufräumarbeiten werden möglicherweise von im Gelände verborgenen Minen behindert.

In vielen Kreisen gibt es Bestrebungen, das ehemalige Grenzgebiet zu einem Naturschutzpark zu machen. Im Raum Lüneburg ist ein parteiübergreifender Streit entstanden, ob die gesamte Elbtalaue Nationalpark werden soll. Nordöstlich von Helmstedt hat die niedersächsische CDU-Landtagsfraktion im April rund 36.000 Baumsetzlinge auf dem ehemaligen Todesstreifen gepflanzt.

In einigen Bereichen sind schon seit Jahren Naturreservate ausgewiesen: Am Schalsee und dem Elbtal in Mecklenburg bestehen bereits zwei großflächige Nationalparks. Niedersachsen will Teile des Oberharzes zum Nationalpark umfunktionieren. Nach Aussage von Dr. Hieckel vom Jenaer Institut für Landschafts- und Naturschutz reihten sich entlang des ehemaligen deutsch-deutschen Niemandslandes die neuen Schutzgebiete wie Perlen an einer Schnur. Das betreffe beispielsweise die Trockenrasen und Trockenwälder in der Rhön und dem Werratal zwischen Eisenach und Treffurt mit ihren Orchideen, geschützten Vogel- und Insektenarten. Allein im Landschaftsschutzgebiet Mittlere Werra seien bereits 22 Naturschutzgebiete ausgewiesen.