Der Antichrist vor Hertie

■ »Am Rande von Harmagedon« im Regenbogenkino

Harmagedon ist die letzte Schlacht zwischen gut und böse. Harmagedon, der Endkampf zwischen Kommunismus und westlicher Welt, käme bald, meinte der halb schon vergessene US-Präsident Reagan noch Anfang der 80er Jahre und behielt sich das Recht für den atomaren Erstschlag vor. Am Rande von Harmagedon schien die Welt zu stehen, als Ali Agca im Mai 1981 den heiligen Vater aufs Korn nahm. Die Zentrale des antichristlichen Terrors, so fanden 'BILD‘ und Konsorten später heraus, lag in Moskau. Die Weissagungen von Fatima schienen sich erfüllt zu haben. Dort und zwar im Mai 1917 war drei Hirtenkindern nämlich die heilige Jungfrau erschienen und hatte verkündet, daß der Papst in große Schwierigkeiten käme, wenn der Kommunismus nicht schleunigst besiegt werde. Das dritte, bislang noch verhüllte Geheimnis von Fatima, schützt die katholische Kirche wie ihren Augapfel. Der unprätentiös schöne Schwarzweißfilm von Bernhard und Wolf Carduck und Andreas Piontkowitz weiß auch nicht mehr und erzählt nach flackernd überbelichteten Eingangssequenzen aus Fatima vor allem die Geschichte von Lolek, dem vergessenen Sohn des Papstes.

Lolek lebt in Demut und ist eigentlich zufrieden mit seinem bäuerlichen Los in einem kleinen Dorf in Polen. »Auf die Idee, eine Fahrt nur des Vergnügens wegen zu machen, wäre er nie gekommen.« Weiße Gänse und Mistgabeln verläßt er jedoch Anfang 1981, um seinen Vater, den Papst, zu treffen. Mit Geld soll der ihm aushelfen, das Grab der Mutter zu pflegen. Doch zunächst trifft Lolek in West-Berlin auf die »guten Menschen« Hubert und Hans. In Wahrheit jedoch sind das zwei zwielichtige Gestalten, deren täglich Brot es ist, arme Polen zu betrügen. In Lolek wittern sie ein gutes Geschäft; seine Geschichte ließe sich nachrichtentechnisch vermarkten, so denken sie; nicht dem Sohn den Vater wiedergeben wollen sie, sondern den Vater denunzieren. So packen sie Lolek auf den Rücksitz ihrer Opel- Rekord-Limousine und fahren nach Rom. Zu spät erkennt Lolek, auf was er sich da eingelassen hat. Falsche Freunde sind das, voll Spott für seinen glühenden Glauben. Nicht aus Ehrfurcht vor der heiligen katholischen Kirche schmücken sie ihr Gefährt mit allerlei katholischen Souvenirs. Von der Fahrertür lächelt zum Beispiel der Pontifex maximus. Zu einem Treffen zwischen verlorenem Sohn und wiedergefundenen Vater kommt es allerdings nicht, denn als Lolek mit seinen »Freunden« vor dem Petersdom erscheint, ein Plakat in der Hand — »Ich bin der Sohn des Papstes und fordere eine sofortige Audienz« —, kommt auch Ali Agca und schießt auf den heiligen Vater. Agca und Hans und Hubert dienen gleichermaßen dem Antichrist, erkennt Lolek und schickt sie in die Wüste, wo sie hingehören. Von kirchlichen Furien gejagt, trifft die Bösen die Wundergewalt des Himmels. Die katholischen Souvenirs im Auto beginnen ein würgendes, schlagendes, blinzelndes Eigenleben. Von Glück können Hubert und Hans reden, daß Gott sie nur warnt, nicht vernichtet und sie am Ende zur Buße bei Hertie den 'Wachturm‘ noch feilbieten dürfen. Lolek, der Sohn des Papstes verzichtet demütig auf seine Anerkennung und kehrt zurück in sein Dorf. Sein Leben ist nicht einfacher geworden...

Im schönsten Schwarz-Weiß wissen die Laienprotagonisten des Films durch schicke Trainingsjacken und Gesichter fernab von jedem luftikushaften Kunstgetue zu beeindrucken. Überzeugend proletarische Zimmer und Schrankwände werden von einer besonders schönen Hammondorgel- Oldiemusik untermalt. Die Bilder sind denkbar schlicht wie in frühen Lothar-Lambert-Filmen. Bei manchen Szenen läuft der Film einfach weiter, ohne daß noch was passiert, als hätte der Kameramann vergessen, daß er einen Film macht, vielleicht soll der Zuschauer zwischendurch auch nur kurz ins wirkliche Leben jenseits der Kamera gucken. Vor allem erinert Am Rande von Harmagedon jedoch fast melancholisch an die Ästhetik eines sehr fern wirkenden, besinnlich ruhigen Film-West- Berlins Mitte der achtziger Jahre. Detlef Kuhlbrodt

Am Rande von Harmagedon , BRD 1986, B/R/S: Bernhard Carduck, Wolfgang Carduck, Andreas Piontkowitz, bis zum 12.5. jeweils 23.00 Uhr im Regenbogenkino, Lausitzer Straße 22 HH, 1000 Berlin 36.