piwik no script img

„Ich würd' Ihnen zum Revolver raten“

Erste Berliner Waffen-Börse am Alex/ Besorgniserregender Trend zur privaten Bewaffnung zu beobachten/ 15.000 Schußwaffen in den fünf neuen Bundesländern beantragt/ Lange Wartezeiten  ■ Aus Berlin Dorothee Wenner

Drei zierliche „Ladybug“ liegen in halbgeöffneter Stellung im Glasschaukasten, die scharfen Zähnchen aus Stahl schamhaft entblößt, in spielzeugfarbenem Rosa, Rot und Gelb für 39 Mark. „Die Damen sagen nicht warum, aber sie haben so ein Messer gern in der Handtasche“, erzählt der Würzburger Aussteller Hogler Mellin. Die KäuferInnen der Börse, meint er, seien keine Spinner, sondern alles seriöse Kunden. Wer eine Gaspistole erwerbe, nehme meistens den Holster gleich dazu, „und das ist für uns ein deutlicher Hinweis, daß die Dinger auch getragen werden — zur persönlichen Sicherheit“.

Etwa 4.000 Besucher kamen am Eröffnungstag der „1.Berliner Waffen-Börse“ zum Ausstellungsgelände unter dem Fernsehturm auf dem Alex. Sportschützen, Jäger, Waffensammler und allgemein Interessierte drängelten sich um die Stände der 42 Austeller aus Deutschland, England und Frankreich. Sie bestaunten manch antike Pistole und mittelalterliche Armbrust, nahmen sachkundig moderne Sportgewehre in die Hand, testeten die Stabilität von Messern und fachsimpelten miteinander.

Händler von waffenscheinpflichtigen Waffen betrachten die Messe allerdings eher als eine Informationsschau. „Gucken und anfassen — mehr ist nicht gewesen“, resümierte ein süddeutscher Aussteller den ersten Tag, „aber wegen der neuen Situation haben wir's auch nicht anders erwartet.“ Denn für Westberliner und ehemalige DDR-Bürger ist der Besitz erwerbsscheinpflichtiger Waffen ein gesetzliches Novum. Jetzt, nach der Wiedervereinigung, sprich: Aufhebung des Alliiertengesetzes, können die Schießsportler und Jäger auch die schwierigen, zeit- und geldintensiven Prüfungen nicht mehr schrecken: Nach Auskunft der Polizei beantragten bisher allein in Berlin etwa 7.000 Personen eine Waffenbesitzkarte für rund 15.000 Schußwaffen. Wartezeiten bis zu sieben Monaten werden in Kauf genommen.

Während die Schießwütigen warten, nutzen die Golfvereine zum Ärger die Gelegenheit, verwaiste Übungsplätze der ehemals in und um Berlin stationierten Truppen für ihre Zwecke umzufunktionieren. Und die daraus resultierende Verärgerung über den Snobismus der Golfer paßt ganz gut zum Erscheinungsbild der Hobby-Schützen auf der Berliner Börse: bieder, solide, mit einem Hang zur Dickbäuchigkeit und leicht erregbar über jeden, der ihren Sport oder das Waffensammeln der Gefährlichkeit halber kritisiert: „Mord dem Schießsport“ und „Legale Waffenbesitzer sind keine Gangster“ lauten die Parolen, mit denen sich entsprechende Vereine gegen die Verschärfung der EG-Gesetze zum legalen Waffenbesitz äußern. Ein Dresdner verweist auf die Situation in der Schweiz, wo doch ein jeder ganz legal seine Flinte im Schrank habe und wo die Kriminalitätsrate doch so viel niedriger sei als hierzulande. Folge: „Je mehr unbescholtene Bürger bewaffnet sind, um so besser für die Gesellschaft!“ Ähnlich argumentiert der Präsident des Bundes der Militär- und Polizeischützen e.V., Jürgen Mertens. Für ihn sind Leute, die ihre legale Waffe mißbrauchen, „schwarze Schafe, gegen die man sich nicht schützen kann. Es kann immer einer ausflippen.“

Tatsächlich scheinen die Chancen, etwa bei einem Überfall von einer sogenannten „schwarzen Waffe“ bedroht/erschossen/erstochen zu werden, allein rechnerisch höher zu sein in Relation zu den legalen Waffen. Nach Mertens wird in den alten Bundesländern die Zahl der Waffen in illegalem Besitz auf vierzig Millionen geschätzt — gegenüber zehn Millionen registrierten.

„Frei ab 18“ — an allen Ständen, die sich mit einem solchen, zumeist handschriftlichen Hinweisschild auszeichneten, wurde auch ganz gut verkauft, und zwar das, was professionelle Händler „Spielzeug“ nennen: handliche Messer, waffenscheinfreie Schreckschußwaffen, Gaspistolen. Den Kunden im Anzug oder sonntäglichen Freizeitdress, denen hier eher zum Revolver, dort eher zur Pistole oder zur Tränengasspraydose geraten wird, übergeben die Verkäufer ihre doch ziemlich aggressive Ware zumeist mit einem lächelnden „Hoffentlich brauchen Sie's nie“, woraufhin die Käufer zurücklächeln und nicken. „So ein Revolver ist doch ein viel besserer Schutz als ein Messer, wenn ein Dieb oder Vergewaltiger vor mir steht“, erklärt eine junge Kundin aus Berlin- Grünau, die ihr neues, waffenscheinfreies Modell für 179 Mark so selbstverständlich wie den Lippenstift in die Handtasche gleiten läßt. Ganz ohne Verteidigungsschutz zu sein, käme für sie seit einem Überfall nicht mehr in Frage.

Für den Veranstalter Wolf Krey ist die Waffen-Börse eine Messe wie jede andere. „Es kommt darauf an, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen. Die Nachfrage hat in diesem Berich immer bestanden, nur das Angebot fehlte.“ Der Eintrittspreis von immerhin 8 Mark und die gesetzesübliche Auflage, keine Militaria aus der NS-Zeit zu verkaufen, mag die Neonazis davon abhalten, auf der Bösrse einen skandalträchtigen Auftritt zu liefern. Demzufolge ist auf der Waffen-Börse niemand gewillt, die Veranstaltung zu problematisieren und in einen Zusammenhang zu bringen etwa mit der Bewaffnung von Jugendbanden oder mit der Zunahme von Verbrechen, bei denen Waffen benutzt werden — egal, ob auf Waffenschein oder vom Flohmarkt.

Und immer normaler wird es auch, daß viele ausländisch aussehenden Menschen nach Einbruch der Dunkelheit aus Angst lieber zu Hause bleiben, derweil sich die Bewaffneten in der U-Bahn tummeln. Sogar die Polizei, so ihr Berliner Pressesprecher Hans-Eberhard Schultz, beobachtet den Trend zur Privatbewaffnung mit Besorgnis. „In den fünf neuen Bundesländern kauft sich zur Zeit ja Hinz und Kunz so'n Ballermann. Diese Waffen gibt's ja mittlerweile in jedem besseren Zigarrenladen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen