: Eine Kleinstadt im Griff der „Krake“
■ Ausstellung „Staatssicherheit intern“ zeigt am Beispiel Borna, wie die Stasi flächendeckend die Bevölkerung überwachte/ Opfer der Bespitzelungsaktionen waren in erster Linie Umweltgruppen
Bonn. Die Arme der „Krake“ reichten bis Borna. Eine Stadt, die nicht gerade zu den politischen Brennpunkten der ehemaligen DDR zählte. Und dennoch war auch sie im alles umfassenden Griff der Staatssicherheit. 78 hauptamtliche und unzählige Informelle Mitarbeiter überwachten, bespitzelten, hörten ab und observierten die 24.600 Einwohner des Ortes.
Städte wie Borna, 25 Kilometer südlich von Leipzig gelegen, gab es dutzendweise in der DDR. Um so eindringlicher wirken die Dokumente des in Borna herrschenden Staatsterrorismus, die die Bürgerkomitees zur Auflösung der Stasi aus Leipzig und Dresden zusammengetragen haben. Die Materialien zeigen sie nun in der Ausstellung Staatssicherheit intern, die derzeit im Arbeitnehmer-Zentrum Königswinter (AZK) bei Bonn zu sehen ist.
„Die Dokumentation soll ein mahnendes Beispiel sein, auch für die Bürger aus den alten Bundesländern“, sagte AZK-Mitarbeiter und Organisator Ulrich Sebastian am Freitag bei einem Rundgang, an dem auch der CDU-Abgeordnete und Abrüstungsminister in der letzten DDR- Regierung, Rainer Eppelmann, teilnahm. Borna zeige auf, so Sebastian weiter, wie eine x-beliebige Stadt von einem solchen Machtapparat überrollt werden kann. „Die Westbürger sind deshalb aufgefordert, bei der Vergangenheitsbewältigung mitzuwirken“, meinte Sebastian. Die Dimensionen der Staatssicherheit seien für viele bis heute noch nicht erkennbar.
Seit dem 4. Dezember 1989, als Demonstranten die Stasi-Bezirksverwaltung in Leipzig besetzten, arbeitet das Bürgerkomitee daran, Licht in das Dickicht von Bespitzelung und Überwachung auch in Borna zu bringen. Dort hatten sich die Aktivitäten der Stasi vor allem auf die Arbeit von Umweltschutzgruppen konzentriert. Die Stadt liegt nur fünf Kilometer vom Industriestandort Espenhain entfernt. Chemieindustrie und Kohlebergbau machten das Gebiet zu einem der dreckigsten in Europa.
Mit welcher Akribie die Stasi bei der Überwachung der DDR-Bürger vorging, veranschaulicht das Protokoll eines Umwelt-Gottesdienstes vom 11. Juni 1989. Penibel genau wurde jede Kleinigkeit bei der Veranstaltung festgehalten. Die Ausstellung gibt aber auch Einblick in die Organisation der Stasi, die verschiedenen Typen von Informellen Mitarbeitern, Methoden der Bespitzelung wie Telefonabhören und Oberservieren. Und sie befaßt sich ebenso mit den Problemen bei der Aufarbeitung der Vergangenheit durch die Vernichtung von Beweismaterial.
Die Dokumentation im AZK läuft noch bis zum 23. Mai. Danach wird sie im Rahmen einer größeren Ausstellung zur Stasi-Vergangenheit im Bundestag gezeigt. Claas Hennig (dpa)
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