piwik no script img

Standbild: Plansoll an Volksliedfrohsinn

■ "Alles singt", ARD, Samstag, 20.15 Uhr

Musikkorps mit Pauken und Trompeten, Geschwader von Chören, die festgemauert in der Heimaterden stehen und sich in banger Erwartung wiegen: „Das ist der Kanal, der richtige Kanal, wir sind zum ersten Mal auf dem Kanal, wir hoffen, daß es gelingt, ganz ohne Frust, mit Sangeslust.“ Kein Zweifel möglich: Die ARD hat wieder mal zwei Fliegen mit einer Trachtenjoppe erschlagen: Der Deutsche Fernsehfunk (DFF) darf eine Unterhaltungssendung aus dunkler Arbeiter- und Bauern-Zeit ins mächtige Westfernsehen hinüberretten — und soll dafür gefälligst dankbar sein —, und unsere Volkslied-Liebhaber werden mit unverfälschtem 50er-Jahre-Flair bedient, damit sich ein Reibach machen läßt auf der nach oben offenen Einschaltquoten-Skala.

Wenn es nicht so grauenvoll mitanzuschauen wäre, was sich da als Wiederkehr des nie Verdrängten vor unseren Augen abspielt — man müßte vor Scham und Mitleid in die Knie gehen, denn so viel Unterwürfigkeit, eine so zwanghaft frohgemute Dankbarkeit hat man in unserem Unterhaltungsgewerbe noch nie gesehen: Zwei freudlos-freundliche Herren mittleren Alters (Hans-Georg Ponesky und Jürgen Schulz) erfüllen in Bad Kissingen — „ein Bad zum Küssen, jawoll!“ — das Plansoll an Volksliedfrohsinn, der in exakt 90 Minuten über die Bühne der Kurhaus-Wandelhalle rollt, „denn ohne Sangesfreude geht es nicht“. „Meine Dame, würden Sie freundlicherweise mal ein Volkslied anstimmen?“, fragt einer der beiden Herren, die sich gegenseitig überbieten in der Kunst, eine Massenveranstaltung zu leiten und gleichzeitig unsichtbar zu bleiben. Sie kommen aus Bad Liebenstein in Thüringen — „dort liegst du gebettet so lieb und rein, du herrliches Fleckchen Bad Liebenstein“ — und wollten „falleri fallera ins Land der Franken fahren“, denn „das ist ein frohes Wandern am hellen Frühlingstag, wie kann das Herz erfassen dich, du große Herrlichkeit?“.

Nein, all diese Herrlichkeit läßt sich auch von einem noch so großen Herzen nicht erfassen: In Reih und Glied wogt Brust und Brüstin, kein Lächeln, nicht eine entspannte Miene ist auf den Gesichtern zu erkennen. „Nachtigall, Nachtigall, wie sangst du so schön“, doch keiner hat bei Frau Nachtigall gelernt — auch wenn die Stimmen-Bataillone beschwörend singen: „Der Gesang, der Gesang macht uns alle froh“ —, daß Singen nicht Stechschritt nach Noten heißt, es sei denn, man stapft gen Feindesland. Selbst Annegret Kuttner — „Klammer auf sechzehn Klammer zu“ —, ein „schwarzbraunes Mägdelein, du läßt mir keine Ruh“, das einem Klavier die perlendsten Töne entlockt, steht traurig vor den Bad Kissinger Kurgast-Massen und scheint sich ratlos zu fragen, was es mit den „Abendglocken der Rhön“ wohl auf sich hat: „Von weitem schon hört man sie läuten, sie möchten so vieles bedeuten.“ Und dennoch behaupten die Moderatoren von der verzweifelten Gestalt, sie hätten sich „sehr, sehr wohlgefühlt“. Aber vielleicht ist es ja tatsächlich wahr: „Wer keine Augen hat zu sehen, kann unser Lied auch nicht verstehn. Kuckuck.“ Sybille Simon-Zülch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen