: Wenn endlich das Militär abzieht...
■ Aus der Colbitzer Heide soll das Militär abziehen, egal ob deutsches oder russisches/ Öko-Schäden in Milliardenhöhe/ Für die Sowjetarmee war eine Fläche in der Größe des Saarlandes reserviert
Hamburg/Colbitz. In der Colbitz- Letzlinger Heide nördlich von Magdeburg gibt es nicht nur Kiefern, Erika und Heidekraut, sondern auch den größen Lindenwald Mitteleuropas und seltene Tiere wie Schwarzstorch, Blauracke und Baumfalk. Tief unter dem Heideboden ruht ein Grundwasserreservoir von 3,3 Milliarden Kubikmetern, das 600.000 Menschen mit Trinkwasser versorgt. Doch weite Teile der Heide bleiben dem Besucher verschlossen — sie sind militärisches Sperrgebiet, weil die Colbitzer Heide auch den größten Schießplatz in Deutschland aufnehmen mußte.
In der Heide sind seit Jahrzehnten Panzertruppen, Artillerie und Luftabwehreinheiten der Sowjetarmee stationiert. Niemand kennt ihre Zahl, doch wenn sie schießen, vibrieren in den Heidedörfern Colbitz, Letzlingen, Dolle oder Born die Fensterscheiben, gelegentlich wurden auch schon mal Wohnhäuser von Querschlägern getroffen. Umweltschützer fürchten, daß bei den bekannten Umweltsünden der sowjetischen Truppen das Trinkwasserreservoir geschädigt werden könnte. „Der Schatz in der Heide braucht unseren Schutz“, fordern die Ökologen.
Zwar wird die Sowjetarmee die Heide, wie die gesamte ehemalige DDR, vertragsgemäß bis spätestens Ende 1994 räumen. Doch bisher hat das Bundesverteidigungsministerium Befürchtungen nicht aus dem Weg geräumt, daß die Bundeswehr auf frei werdende Schießplätze nachrückt. Mit ihrem Protest gegen eine weitere militärische Nutzung der Heide stehen die lokalen Bürgerinitiativen nicht mehr allein. Auch Sachsen-Anhalts Umweltminister Wolfgang Rauls (FDP) ist auf ihrer Seite. Gemeinsam mit 100 von ihnen trat der Minister am Samstag bei einer Fahrraddemonstration durch die Heide in die Pedale. Die Hardthöhe will erst im Sommer über die Zukunft aller sowjetischen Übungsgelände entscheiden.
Doch die Heide-Anrainer haben über die Zukunft schon klare Vorstellungen. „Sanfter Tourismus“ lautet das Ziel, mit dem sich am Wochenende auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Ökologie der Grünen bei einem Treffen in Colbitz befaßte. Die gesamte etwa 700 Quadratkilometer große Heide soll von der Landesregierung zum Naturpark erklärt werden. Touristen sollen sich zu Fuß, per Fahrrad, Kutsche oder hoch zu Roß bewegen können. Hotels dürften nur innerhalb der Ortschaften gebaut werden, die sich rund um die Heide gruppieren.
Im Land Brandenburg erfordert die Beseitigung der Umweltschäden, die das sowjetische Militär nach seinem Abzug aus Ostdeutschland hinterläßt, eine „zweistellige Milliardensumme“. Dies sagte der brandenburgische Umweltminister Matthias Platzeck (Bündnis 90) laut eines 'Spiegel‘-Berichts. Im Kreis Eberswalde bestehe „äußerste Katastrophengefahr“ für das Trinkwasser von 50.000 Menschen. An anderen Standorten würde von den Sowjets „in großer Menge Munition verbrannt, vergraben, gesprengt“. Nach Angaben des Magazins war für sowjetische Militäreinrichtungen in der ehemaligen DDR eine Fläche von der Größe des Saarlandes reserviert.
Nach dem zwischen Bonn und Moskau vereinbarten Überleitungsvertrag dürfen die sowjetischen Streitkräfte die von ihnen zurückgelassenen Bauwerke „zu Bedingungen des Marktes“ in Rechnung stellen. Dies soll dann mit den Kosten für die angerichtteen Umweltschäden verrechnet werden. „Soweit die Schäden die Restwerte übersteigen, ist die Differenz der deutschen Seite zu erstatten“, heißt es im Überleitungsvertrag. Aus Kreisen des Bundesumweltministeriums in Bonn verlautete, die Bundesregierung gehe nicht davon aus, daß eine Verrechnung möglich ist, da die Sowjetunion nicht über die entsprechenden Finanzmittel verfügt. Angesichts der Schadensersatzforderungen, die deshalb auf die Sowjetunion zukommen könnten, befürchten deutsche Behörden nach Angaben des 'Spiegel‘, die abrückenden Truppen könnten die Umweltverseuchung an ihren Standorten verschleiern.
Der Spiegel berichtet unter Berufung auf eine bislang unbekannte Bestandsaufnahme der letzten DDR- Regierung weiter, die Westgruppe der Sowjetischen Streitkräfte (WGSS) habe auf insgesamt 243.015 Hektar 1.026 militärische Einrichtungen unterhalten. Damit hätten sie 2,25 Prozent des gesamten Staatsgebietes der ehemaligen DDR belegt. Die Sowjetarmee habe rund 110 Flugfelder und Hubschrauberbasen, 110 Truppenübungs- und Schießplätze, 70 Radar- und Funkstationen, acht große Munitionslager sowie 400 Wohnanlagen, Kasernen und andere geschlossene Siedlungen gebaut.
Eines der dichtesten Militärnetze lag laut 'Spiegel‘ um die Baustelle des umstrittenen Kernkraftwerkes in Stendal. Insgesamt 40 Installationen der Westgruppe hätten die Gegend um das Atomkraftzentrum zum potentiellen Kriegsschauplatz gemacht. Neben Kasernen und Übungsplätzen habe die sowjetische Armee im Raum Stendal drei Radarstationen, drei Flugplätze sowie zwei Raketenstellungen gebaut. Im ehemaligen Bezirk Halle sei mit 141 Anlagen die höchste Anzahl von Objekten der Westgruppe angesiedelt. Die größten Flächen habe mit 750 Quadratkilometern der Bezirk Potsdam reservieren müssen. dpa/afp
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