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Immer mehr jugendliche Gewalttäter

■ Polizeigewerkschafter diskutierten das Phänomen Jugendkriminalität auf einer Kripo-Fachtagung

Steglitz. Elf Uhr morgens Charlottenburg: Ein 14jähriger klaut einem elfjährigen Nachbarjungen die Armbanduhr; zwei Stunden später entreißen drei Jugendliche in Neukölln einer 72jährigen Frau die Handtasche; am gleichen Abend wird ein 13jähriger Schüler in Kreuzberg von wenig älteren Jugendlichen mit einem Messer bedroht und muß sein Taschengeld herausrücken. Die Zeitungen quellen über vor Meldungen über die zunehmende Gewalt von und unter Jugendlichen. Nun wird auch die Polizeigewerkschaft GdP aktiv: Bei einer Kripo-Fachtagung setzten sich gestern rund 260 Delegierte und Gäste mit dem Phänomen Jugendkriminalität auseinander.

Die Zahlen geben allen Anlaß zur Diskussion. Seit Oktober vergangenen Jahres hat sich die Zahl der monatlich registrierten Straftaten aus dem Spektrum der »Jugendgruppengewalt« mehr als verdoppelt. Inzwischen werden der Polizei an jedem Tag durchschnittlich 14 Straftaten gemeldet. In drei von vier Fällen handelt es sich hierbei um Raub oder Körperverletzung.

»Neben der erheblichen quantitativen Steigerung nimmt aber auch die Gewaltbereitschaft immer weiter zu«, beklagte der GdP-Landesbezirksvorsitzende Burkhard von Walsleben bei der Tagung. Nach Einschätzung der Polizei sei die Hemmschwelle zur Anwendung brutaler Mittel bis hin zur Tötung eines Menschen deutlich niedriger geworden. Immer mehr Jugendliche rüsteten sich mit Schlagwerkzeugen und Schußwaffen aus. Deutlich widersprach er aber dem Eindruck, daß die Gewalttaten hauptsächlich von ausländischen Jugendlichen verübt würden: »Rund 60 Prozent aller Tatverdächtigen sind Deutsche. Insbesondere im Ostteil der Stadt erleben wir momentan ein Gewaltpotential, daß wir in Ausmaß und Brutalität in West-Berlin bisher nicht kannten.«

Als begünstigende Ursachen für die Bildung von gewaltbereiten Jugendgruppen nannten die Polizeigewerkschafter Erziehungsmängel ebenso wie berufliche Perspektivlosigkeit, Frustration und Langeweile. Sie forderten ferner, die Zusammenarbeit mit den Senatsverwaltungen und den Bezirksämtern, aber auch mit den Jugendlichen weiter zu verstärken. In vielen Fällen seien es nämlich Einzeltäter, die beim Jackenklau oder einer Schlägerei erwischt würden. Dann könne im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs nach einer Gegenüberstellung beider eine aktive Wiedergutmachung durch den Täter anstelle einer Strafe im Vordergrund stehen.

Bei Wiederholungstätern will die Gewerkschaft aber hart bleiben: »Notorische Gewalttäter sollen schuldangemessen bestraft werden«, befand von Walsleben. Streetworker und Jugendfreizeiteinrichtungen insbesondere im Ostteil der Stadt sollten jedoch stärker gefördert werden. Jeanette Goddar

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