: Schäuble will Berliner Juden abschieben
■ Bundesinnenministerium kommt Berliner Bitte um Aufenthalt für 269 sowjetische Juden aus Israel — »außenpolitische Gründe« — nicht nach
Berlin. Die 269 sowjetischen Juden, die über den Umweg Israel während des Golfkrieges nach Berlin einreisten und hier bleiben wollen, sollen die Stadt verlassen. Wie jetzt bekannt wurde, hat Innenminister Wolfgang Schäuble am 10. Mai die Bitte von Innensenator Heckelmann vom 3. April abgelehnt, diesen Menschen eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen. In dem Schreiben, das dem Innensenat bis gestern abend noch nicht vorlag und dessen Text nicht einmal Heckelmann kennt, wird ein Bleiberecht aus außenpolitischen Gründen abgelehnt (siehe Dokumentation).
Nach Auffassung des Referenten für Ausländerfragen bei der Innenverwaltung, Spatz, sei eine Entscheidung Schäubles für den Senat bindend. Die »Ausreisepflicht« müsse nach dem seit Januar geltenden Ausländerrecht »zwangsweise durchgesetzt« werden. Es ist also zu befürchten, daß Berlin ein Exempel statuiert und als erste Stadt Deutschlands Juden abschiebt. Die 269 Betroffenen haben bereits erklärt, daß sie Berlin nicht freiwillig verlassen werden und daß nur Polizei sie aus ihren Aufenthaltsheimen zerren kann. Rechtsanwalt Rosenkranz hingegen, der die Gruppe vertritt, weist darauf hin, daß der Senat sehr wohl einen Ermessensspielraum im Rahmen der Kontingentsflüchtlingsregelung besitze und damit »endlich Farbe bekennen soll«. Heinz Galinski erklärte der taz, daß er in dieser Frage »zwischen allen Stühlen sitzt«, er sich zu einer Aufnahme weder »positiv noch negativ« äußern könne. »Unerträglich« sei aber die Vorstellung, daß polizeiliche Maßnahmen gegen diese Juden eingesetzt werden könnten. Die oppositionelle Jüdische Gruppe fordert, daß nach Deutschland geflohene Juden hierbleiben können. Es sei eine Schande, daß »so schnell ordnungspolitisches Denken und Handeln die Erinnerung an die jüngste deutsche Geschichte auslöscht«.
Abgeschoben werden könnten nicht nur diese 269 Juden, sondern nach Auskunft des Innenministeriums alle Juden, die sich seit dem 30. April mit einem abgelaufenen Touristenvisum in Deutschland aufhalten. Damit ist entschieden, daß die im Herbst von Schäuble angekündigte »großzügige Einreiseregelung« nicht angewandt wird. Ein Bleiberecht erhalten jetzt nur die Juden aus der Sowjetunion, deren in der UdSSR gestellter Ausreiseantrag positiv entschieden worden sei. Nach Angaben von Galinski prüft das Kölner Bundesverwaltungsamt derzeit 1.800 Anträge. Grünes Licht erwarte er innerhalb der nächsten zwei Monate. Meldungen, wonach 100.000 sowjetische Juden Ausreiseanträge für die BRD gestellt haben, seien »maßlos« übertrieben. Das Innenministerium habe mitgeteilt, daß bisher maximal 3.000 Juden einen Ausreiseantrag gestellt hätten, rund 6.000 hätten sich die Formulare zuschicken lassen. Von einer »Ausreisewelle« könne keine Rede sein. Anita Kugler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen