: Kein radikales Berliner Zimmer
■ Die Architekturausstellungen »Berlin morgen« und »Berlin heute« in der Berlinischen Galerie
Etwas mehr als »Ergänzungen« der Frankfurter Architekturvisionen Berlin morgen. Ideen für das Herz einer Groszstadt (siehe taz vom 2. 2. 91) sind die Entwürfe für Berlin heute — Projekte für das neue Berlin schon, die als »Berliner Zimmer« in der Berlinischen Galerie den Gegenpart zu den jetzt präsentierten Ausstellungsstücken aus dem Deutschen Architekturmuseum Frankfurt (DAM) spielen. Denn die Planungen von elf Berliner Architekten, die gemeinsam mit der Frankfurter Ausstellung in der Architekturabteilung im Martin-Gropius-Bau gezeigt werden, sind in ihrer Architektursprache weniger radikal wie die siebzehn Bau- Ideen aus dem DAM und darum nicht als Provokation für die Debatte über die zukünftige Stadt zu verstehen. Machbarkeitsstudien bei Berlin heute für benutzbare Architektur sucht man allerdings, wie bei Berlin morgen, vielfach vergebens.
Berlin morgen — so erinnert man sich — hatte das DAM gemeinsam mit der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘ im Februar 1991 konzipiert, um durch einen architektonischen Ideenwettbewerb der städtebaulich noch geteilten Spreemetropole unter die Arme zu greifen. Sogenannte »Stararchitekten«, wie der Italiener Aldo Rossi, die Amerikaner Robert Venturi und Denise Scott Brown, das Wiener Team »Coop Himmelblau«, der Franzose Jean Nouvel, sowie Oswald Mathias Ungers und Josef Paul Kleihues u.a. wurden ob ihres Ruhmes auf die Berliner Mitte angesetzt. Heraus kamen Visionen, Manifeste, Konglomerate und Modelle aus Pappe, in Acryl und Wasserfarben, die, bis auf wenige Ansätze, in planerischer Hinsicht eine Katastrophe darstellten.
Ohne Perspektive einer städtebaulichen Vereinigung am Potsdamer Platz blieben die Planungen etwa dann, wenn, wie bei Daniel Libeskind, das Thema »Todesstreifen« mit Zertrümmerungsformen durchexerziert wird. Hoffnungslos sentimental präsentiert Oswald Mathias Ungers historische Architekturikonen. Kleihues entwirft dagegen neben dem historisch rekonstruierten Stadtgrundriß am Potsdamer/Leipziger Platz zwei Daimler-Benz-Turmhäuser, die ebenso wie Kollhoffs Idee für ein ganzes Mini-Manhattan am selben Ort ein mögliches Konzept auf die wirtschaftliche Entwicklung sein wollen, indem sie mit Verdichtung nach innen das unversehrte Umland zu bewahren suchen.
Die Realitätsferne der Berlin-morgen-Kollegen scheint nur wenige der elf Berlin heute-Architekten angesteckt zu haben. Ähnlich visionär — mit typologischen Baukonzepten oder graphischen Figuren — überzogen nur Hans Kollhoff mit seinem Büroturmwald am Westkreuz oder Christoph Langhof mit einer riesigen Wohn- und Bürostadt aus Hochhausketten und Zeilenbauten auf der Stralauer Halbinsel die Stadt. Kontrovers entwirft Eckhard Feddersen seine idealtypischen Vorstellungen von einer ganzen »Bahnhofstadt« nördlich des Humboldthafens, die wie eine Collage aus städtebaulichen Chiffren aus der Berliner Architekturgeschichte erscheinen. Auch für das Büro Brenner und Tonon liegt der derzeit diskutierte »Zentralbahnhof« als verkehrstechnischer Schwerpunkt über dem Lennéschen Hafen. Zugleich planen beide Architekten einen »Zentral-Park« als entlastendes Äquivalent zum Bahnhofskomplex.
Die gläsernen Solitäre und mehrschichtigen Gebäudetypen für kleinteilige Gewerbeansiedlungen und Wohnungen an der Warschauer Straße von Georg Augustin und Ute Frank bleiben dagegen moderater in ihren Ausmaßen und Höhen. Sie orientieren sich, wie die Entwürfe für das Schöneberger Kreuz und Tempelhof der Planungsgruppe Urbane Baukunst, an einer behutsamen Stadtreparatur industrieller Brachflächen und Autobahnschneisen, die mit Architekturen im Stil der Berliner Blockstruktur überbaut werden sollen. Schließlich begegnet man im Berliner Zimmer ebenso alten Bekannten von der DAM-Ausstellung nebenan — siehe Kollhoff — wie bekanntem Alten: Oswald Mathias Ungers' jetzt überarbeitetes Erweiterungsprojekt der Messehallen mit Sportpalast und Fernbahnhof wurde von der Senatsbauverwaltung bereits 1989 ausgelobt und soll nun wegen Geldmangels erst einmal zurückgestellt werden.
Im Unterschied zu Berlin morgen ist in den Entwürfen zu Berlin heute die städtebauliche Dimension der Konzepte neu gefaßt: Nicht in der Mitte Berlins, sondern entlang des inneren Stadtrings wurden Standorte für neue Wohn- und Dienstleistungszentren aufgespürt. Aufbauend auf dem von den Berliner Architekten Edvard Jahn und Heinrich Suhr schon 1987 vorgelegten »Strategieplan zur Stadtgestaltung«, befaßten sich alle Projekte mit den Arealen am Ring, der sich aus seiner historischen und räumlichen Bedeutung heute wie ein Rayon mit eigener Topographie aus Bahnlinien, Autobahntrassen und industriellen Nutz- und Brachflächen um die Innenstadt legt. Die »Ringstadt-Projekte« folgen so vielfach der Bewegung der Eisenbahngleise (Baasner/Langwald/Möller), oder orientieren sich an den städtischen Torsituation, die der Ring ausgebildet hat (Schönwalder/Zimmer/u.a). Die Architekten siedeln ihre Entwürfe hier deshalb an, weil erschlossene Flächenpotentiale für die notwendigen Arbeits- und Wohnplätze vorhanden sind und gleichzeitig — man denke an das Schöneberger West- und an das Ostkreuz/ Storkower Straße oder die Frankfurter Allee — hier Stadtreparatur ebenso notwendig ist, um den ausgefransten Stadtkörper zusammenzufügen.
Neu in der Berlin heute-Abteilung sind auch wunderbare schwarzweiße Fotografien, die das Ost-Berlin der fünfziger Jahre zeigen. Die Fotos wurden aus dem bauministeriellen Abwicklungsmüll in Ost-Berlin zufällig gerettet. Schon allein darum lohnt sich der Gang in die Ausstellung, ist doch auf den Abbildungen gerade noch der Zustand der Stadt zu sehen, kurz bevor sie für das sozialistische Zentrum flächensaniert und umgebaut wurde. Noch steht das zerbombte Stadtschloß neben weiten Straßen. Mendelssohns Columbushaus am Potsdamer Platz erscheint als Monolith in einer Ruinenlandschaft. Die Stalinallee wird gerade gebaut. Ihre Häuser sind zum Teil eingerüstet hinter einer hölzernen Gitterwand. Die Stadt erscheint als eine gebrochene Figur, als ready made in einem chimärischen Zeitraum zwischen alt und neu. rola
Die Ausstellung ist noch bis zum 21. Juli in der Berlinischen Galerie im Martin-Gropius-Bau zu sehen, täglich von 10 bis 22 Uhr. Es erscheinen dazu zwei Kataloge.
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