: Das unbekannte Meisterwerk
■ Ein Gespräch mit Jacques Rivette über „La Belle Noiseuse“,
Karlheinz Oplustil: Frenhofer, die Hauptperson von „La Belle Noiseuse“, die Michel Piccoli spielt, wurde schon in Ihrem letzten Film „Die Viererbande“ erwähnt. Wie kommt das?
Jacques Rivette: In der Viererbande gibt es die Figur des Thomas (Benoit Régent), von dem sich schließlich herausstellt, daß er Polizist ist. Er versucht, in das Haus der Mädchen zu kommen, und denkt sich verschiedene Identitäten aus, um an sie heranzukommen. Dabei erzählt er Claude (Laurence Côte) eine Geschichte, daß er hinter gestohlenen Bildern her wäre.
Mir kam dann der Einfall, daß es amüsanter und für den Film richtiger wäre, wenn er, anstatt nach einem gestohlenden Van Gogh oder Monet zu suchen, von einem erfundenen Bild sprechen würde, also in der Fiktion des Films von einem fiktiven Bild. So kam ich auf Balzacs Erzählung Das unbekannte Meisterwerk, in der es um Frenhofer und ein Gemälde mit dem Namen „La Belle Noiseuse“ geht. Der Name dieses Bildes hat mich schon immer fasziniert, weil kein Mensch weiß, was er bedeutet. Wir drehten also die Szene so, daß Benoit von „La Belle Noiseuse“ wie von einem wirklichen Bild und von Frenhofer wie von einem wirklichen, wenn auch nicht sehr bekannten Maler spricht.
Sie dachten damals noch nicht an den neuen Film?
Nein, der begann zunächst nur als Scherz. Während der Montage der Viererbande war ich eines Tages mit Pascal (Bonitzer) und Christine (Laurent) essen, die das Drehbuch geschrieben hatten. Ich weiß nicht mehr, ob ich ihnen diese Szene mit Benoit Régent und Laurence Côte schon gezeigt habe. Jedenfalls fragten sie mich, ob ich schon ein neues Projekt oder irgendwelche Ideen hätte. Wenn ich etwas gedreht habe, dauert es bei mir normalerweise ziemlich lange, mich davon loszulösen. Ich muß eine Zeitlang leer sein, um an etwas Neues zu denken. Bei diesem Gespräch fiel mir die Szene in der Viererbande ein, und ich sagte mehr zum Spaß, daß ich bei meinem nächsten Film Balzacs Unbekanntes Meisterwerk verfilmen wollte.
Mehr steckte nicht dahinter?
Vor allem ist es eine schöne Geschichte. Und außerdem sagen die Leute, wenn sie an Rivette denken und nicht von Theater sprechen: Rivette, oh la la, bei dem versteht man nichts! Dann ist es normal, wenn man auf ein „unbekanntes Meisterwerk“ verfällt! Es war erst nur ein spontaner Einfall. Aber als ich darüber nachdachte, erschien es mir doch als schönes Sujet für einen Film. Ich glaube, daß das Kino eine besondere Beziehung zur Malerei hat, und es gibt tatsächlich eine große Zahl von Filmen darüber. Zum Beispiel macht Pialat jetzt seinen Van Gogh, Robert Altman hat seinen schon gemacht, und vor zwei Jahren gab es einen sehr mißlungenen Fragonard.
Auch ich hatte schon einige Zeit Lust, einen Film zu machen, der mit der Malerei zu tun hat. Allerdings schien es mir interessanter, mich mit einem imaginären als mit einem wirklichen Maler zu beschäftigen. Abgesehen davon, daß ich kaum fähig wäre, die Biografie von beispielsweise Rembrandt zu drehen oder noch weniger die von Cézanne.
Das andere interessante Sujet in der Erzählung von Balzac ist die Nacktheit. Denn in der Novelle geht es darum, daß der junge Poussin seine Geliebte dazu bringt, sich nackt vor Frenhofer zu zeigen, damit er dessen unbekanntes Bild sehen kann. Die Nacktheit ist aber für das Kino etwas sehr Schwieriges. Viele Regisseure denken daran und versuchen sich mehr oder weniger damit, doch es kommen oft sehr zweifelhafte Ergebnisse heraus. Andererseits ist die Nacktheit in der Malerei ein fundamental wichtiges Thema, wobei es schon durch die Arbeitsweise des Malers eine gewisse Distanz gibt. Im Kino dagegen hat das gefilmte Bild eine ganz andere Beziehung zu dem gefilmten Körper.
Es war also reizvoll für mich, einen Film sowohl über die Malerei als auch über die Nacktheit zu machen. Beides eben interessante Dinge, die man als Regisseur mindestens einmal versuchen sollte. Trotzdem habe ich sehr lange gezögert. Ich habe beinahe ein Jahr lang gezögert, während ich andere Projekte mehr oder weniger undeutlich im Kopf hatte.
Wie haben Sie sich dann für den Stoff entschieden?
Als Claire Denis im letzten Sommer ihren Film mit mir machte, sprachen wir beim Essen wieder einmal über das, was wir so vorhatten. Sie hatte zu dieser Zeit kein klares Projekt, sie hatte ein Drehbuch mit Koltés geschrieben, aber der war gestorben, und sie wußte nicht so recht, was sie machen wollte. Ich erzählte ihr, daß es mir ähnlich ginge, daß ich zwar zwei oder drei vage Ideen im Kopf hätte, mich aber nicht entscheiden könnte. Ich erzählte ihr auch von der Balzac-Erzählung, worauf sie mir sagte: Du mußt das unbedingt machen, ob es dir gefällt oder nicht, du kannst dich nicht drücken, du mußt es auf jeden Fall versuchen. Daraufhin hat sie mich ein paar Wochen lang mit allen möglichen Postkarten bombardiert, mit Bildern von Picasso, Fotos von Matisse vor seinen Modellen und ähnlichem, bis ich schließlich soweit war und sagte, warum nicht.
Die Hauptfrage war dann, ob man den Film mit einem Maler oder einem Schauspieler machen sollte. Ich hatte auf jeden Fall Lust, Frenhofer bei der Arbeit zu zeigen, obwohl dies bei Balzac keine Rolle spielt. In der Novelle macht Frenhofer am Anfang bei einem anderen Bild einige Korrekturen und zeigt damit sein Genie, denn das Bild bekommt plötzlich Leben. Aber sonst wird nicht von seiner Arbeit erzählt. Im Gegensatz dazu wollte ich die konkrete Arbeit an Bildern zeigen, wozu man einen tatsächlichen Maler brauchte. Als ich mich mit Claire Denis darüber unterhielt, habe ich mich trotzdem bald dafür entschieden, mit einem Schauspieler zu arbeiten, denn es ist schließlich eine Fiktion.
So spielt jetzt Michel Piccoli den Frenhofer, aber wenn wir ihn bei der Arbeit an den verschiedenen Stadien der „Belle Noiseuse“ zeigen, sieht man die Hand eines wirklichen Malers, nämlich Bernard Dufour. Diese Szenen haben mir viel Mühe gemacht, weil ich — was ich sonst nicht tue — die Auflösung sehr genau überlegen mußte. Der Körper des Malers, sein Gesicht, seine Blicke und Bewegungen, seine Worte und seine Stimme, das alles ist Michel Piccoli, nur wenn man die Hand zeigt, ist das die von Bernard Dufour.
Schwierig waren diese Szenen auch, weil es eben nicht nur um die Malerei, sondern auch um die Nacktheit geht, man hat also beide Probleme auf einmal.
Das Gespräch führte Karlheinz Oplustil im Mai 1990 in Paris.
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