: Belgrader Parlament sucht Ausweg
■ Mit der Neuwahl dreier Republikvertreter ins Staatspräsidium soll der Kroate Stipe Mesic doch noch eine Chance erhalten, Staatspräsident Jugoslawiens zu werden/ Österreich kritisiert Haltung der EG
Belgrad (ap/taz) — Das jugoslawische Parlament hat am Donnerstag den Versuch unternommen, die Verfassungskrise des Staates in letzter Minute zu überwinden. Die Abgeordneten nahmen in Belgrad die Debatte über die Berufung neuer Vertreter im Staatspräsidium für Montenegro und die von Serbien kontrollierten Provinzen Kosovo und Wojwodina auf. Damit könnte sich für den Kroaten Stipe Mesic eine letzte Chance ergeben, gegen die Stimmen des serbischen Lagers doch noch in das Amt des Staatspräsidenten gewählt zu werden. Die jugoslawische Krise alarmierte auch die Regierungen der Nachbarländer und der EG.
Mesic hatte am Vortag als erster nach dem gültigen Rotationsprinzip antretender Kandidat nicht die erforderliche Mehrheit von fünf der acht Landesteile erreicht. Er hätte aufgrund der Verfassung für ein Jahr zum Staatspräsidenten gewählt werden müssen. Serbien, Kosovo und Wojwodina hatten gegen ihn gestimmt, das traditionell mit Serbien verbündete Montenegro nahm an der Wahl nicht teil. Am Abend wollte das Staatspräsidium erneut zu einer Sitzung zusammenkommen, um einen neuen Wahlgang vorzunehmen. Aus Präsidentschaftskreisen wurde inzwischen bekannt, daß Kroatien und Slowenien mit Abwesenheit gedroht haben, wenn sie nicht zuvor Garantien von Montenegro erhalten, daß Mesic gewählt wird.
Mit dem Scheitern der Wahl von Mesic am Vortag ist Jugoslawien seit Mitternacht faktisch ohne Staatspräsident, Vizepräsident und zivilen Oberbefehlshaber der Armee. Auch die Einsetzung von Mesic als zeitweiligen Koordinator hatte das Staatspräsidium abgelehnt. Damit hätte die Armee die Möglichkeit, unter Berufung auf die Verfassung die Macht zu übernehmen, um Ruhe und Ordnung zu bewahren. Juristisch begegnete das Staatspräsidium der Krise damit, daß sie die am Vortag ergebnislos beendete Sitzung für lediglich unterbrochen erklärte.
Die Krise in Jugoslawien steht am Samstag in Bologna im Mittelpunkt des Treffens der Außenminister Italiens, Österreichs, Jugoslawiens, der CSFR und Ungarns. Italiens Außenminister Gianni De Michelis bekräftigte am Donnerstag die „starke Besorgnis“ über die Entwicklung im Nachbarland und betonte, Rom wie die Europäische Gemeinschaft wünschten ein „einiges und demokratisches Jugoslawien“.
Dagegen verglich der österreichische Außenminister Alois Mock am Mittwoch abend die möglichen Folgen der Krise in Jugoslawien für Europa mit den Auswirkungen des Golfkriegs. Es sei höchste Zeit, daß die Europäische Gemeinschaft in der jugoslawischen Krise aktiv werde, bevor alle Brücken zusammenstürzten. Seiner Meinung nach wird die Brisanz der jugoslawischen Staatskrise in der EG unterschätzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen