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Der Hund ist tot

■ Uraufführung von Klaus Pohls „Die schöne Fremde“ in Essen

Die mit den Schäferhunden sind die Schlimmsten, die trinken einen Rotwein namens „Stierblut“ zum fetten Gänsebraten, rülpsen hinterher und kneifen der Wirtin in den Hintern. Der deutsche Schäferhund ist Symbol für alles Böse im deutschen Mann: Faschismus, Machismo, Antisemitismus, Chauvinismus und was es noch an Fremdwörtern für die deutschen Eigenheiten gibt.

Schlimm sind auch die deutschen Malermeister. Alles neurotische Saubermänner, scheinheilige Übertüncher, dummdreiste Mittelständler. Und Deutschland ist am schlimmsten in der Mitte, in Bebra, ehemals die erste Interzonenzugstation im freien Westen.

Wenn nun eine mondäne Amerikanerin von der New Yorker Upper East Side in dieser Gegend im Schnee steckenbleibt und dort in die Hände der deutschen Malermeister mit ihren deutschen Schäferhunden gerät, ergeht's ihr schlecht. Das sagt sie uns dann auch in einem langen Monolog: „Mir geht es dreckig.“ Sorgfältig häuft Klaus Pohl Stereotyp auf Stereotyp, um sich eine Ausgangssituation für sein Deutschlanddrama Die schöne Fremde zu schaffen. Klischeekumulation als Prinzip.

Doch es kommt noch schlimmer. Die Malermeister lynchen einen Polen. „Weil das unser Deutschland ist, und weil er obendrein falsch geparkt hat.“ Ein Angestellter der Malermeisterbrüder Maul mit dem urdeutschen Spitznamen Lutter und einem urdeutschen Schäferhund an der Leine vergewaltigt die Schöne im Hotelzimmer. Der Rechtsanwalt, den die Überfallene einschalten will, ist ein korrupter Hasenfuß. Er hält zu seinen Stammtischbrüdern. Der jüdische Bräutigam der Schönen will seine beschädigte Braut nun nicht mehr. Auch unter Juden gibt es also Machos, allerdings mit Skrupeln. Die Verlassene kennt nur noch eines: zurück nach Bebra und Rache üben. Das sagt sie uns wiederum in einem Monolog, diesmal ist er kurz und lautet: „Haß, Haß, Dreck, Dreck. Du kannst nicht mehr zurück.“

Der Plan ist teuflisch gut. Das Liebste will sie ihren Feinden nehmen. Sie spielt die Nutte, die die Provinzmachos ja immer in ihr sahen, und fordert dann ihren Preis: Lutters Schäferhund. Die Schlächterei beginnt. Die Mauls stechen den Köter ab, Lutter bringt sie dafür um und erwürgt zum guten Schluß die Fremde. Es gibt so viele Tote wie bei Hamlet: drei Männer, eine Frau. Anders als bei Shakespeare wird jedoch noch ein Hund auf die Bühne geschleift. „Ein toter Hund, da tobt das Parkett“, meint die fremde Rächerin in ihrem letzten Monolog. Sie irrte sich. Ein toter Hund und Gähnen im Parkett. Wer Theaterstücke über aktuelle Themen will, darf sich nicht wundern, wenn diese Stücke mit den Mitteln des Journalismus arbeiten: Vereinfachung, Personalisierung, auffällige Präsentation. Englische Vorbilder helfen da auch nicht weiter. „Well-made play“ heißt auf Deutsch eben Rüpelspiel. Klaus Pohl wagt sich als einer der wenigen in Deutschland an das Genre des aktuellen Thrillers. Nach der MordgeschichteHunsrück und dem Bankkrimi Heißes Geld ist dies Pohls drittes Theaterstück, das durch Zeitungsmeldungen angeregt wurde. Pohl scheitert diesmal weniger an der Häufung von Klischees oder der grobschlächtigen Typisierung der Charaktere als an seiner unzulänglichen Dramaturgie. Er will einen Krimi schreiben und benutzt so feierlich verstaubte Bühnenkonventionen wie den Entscheidungsmonolog. Er will Spannung schaffen und läßt die Figuren jede Handlung wortreich erklären. Er will einen Knoten schürzen und kann die Verknüpfung seiner Handlungsfäden nicht plausibel machen.

Die Uraufführung des Essener Schauspiels im Rahmen der Ruhrfestspiele in Recklinghausen folgt dem mißratenen Machwerk treu bis zur Einfallslosigkeit. Gespielt wird zügig, drastisch, oberflächlich wie fürs Fernsehen. Allenfalls bei den Gebrüdern Maul wird dem Stück etwas Differenzierung abgerungen. Auch die moralische Attacke des Stückes selbst ist fragwürdig. Die Vergewaltigungsszene ist seltsam zweideutig. Der eigentliche Akt findet auf der Bühne nicht statt, nur Nötigung zu einem sadomasochistischen Spiel mit Herr und Hund. Ob Lutter mit der Fremden schläft, bleibt offen, doch fordert sie ihn am Schluß der Szene dazu auf und gibt ihm freiwillig ein Kettchen, Zeichen ihrer Verbundenheit als Täter und Opfer. Der Einwand des Bräutigams, sie habe schließlich die Tür nicht verschlossen und sei somit mitschuldig, wird durch die Handlung nicht entkräftet. Im kruden Kolportagegemisch des Stücks bleibt unentschieden, ob diese Zweideutigkeit ungeniert kalkuliert oder bloß gefährlich naiv ist.

Pohl verbeißt sich so in sein Gegenüber, den provinziellen deutschen Spießbürger, daß er die Übersicht verliert. Auch der Haß auf den Haß macht blind. Die Gefahr ist nicht die Provinzialität der deutschen Provinz, sondern die Provinzialität der deutschen Politik. Ausländerhaß in Bebra ist schlimm, aber schlimmer und erklärungsbedürftiger ist der Ausländerhaß in Hamburg, Dresden, Liverpool und Marseille. Seit Martin Sperr und Rainer Werner Fassbinder drischt die jüngere Dramatikergeneration auf der Provinz herum. Der Hund ist tot. Nur sein Geist spukt noch. Der Provinzialismus der Großstädter ist die faschistoide Qualität der Deutschen.

Gerhard Preußer

Klaus Pohl: Die schöne Fremde , Schauspiel Essen. Regie: Johannes Klaus. Ausstattung: Gert Friedrich. Mit Marina Matthias, Peter Kollek, Meinhard Zanger.

Weitere Vorstellungen in Essen (Grillo-Theater): 18., 19., 23., 24., 25., 26.Mai.

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