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Salut, Genosse Marketing!

■ Nachgerufener Geburtstagsgruß zum 45. Gründungstag der DEFA

Der Krieg war gerade ein Jahr vorüber, als am 17. Mai 1946 in Babelsberg die DEFA gegründet wurde. In der 'Täglichen Rundschau“, der Zeitung der sowjetischen Militäradministration, hieß es heute vor 45 Jahren: „Der 17. Mai wird künftig als der Geburtstag des neuen deutschen Films angesehen werden müssen.“ Ist sie dieser Tage nun 45 Jahre alt geworden, oder muß es richtiger heißen, sie wäre geworden? Eines jedenfalls bleibt unbenommen: Das letzte Jubiläum, der 40. Gründungstag, wurde noch anders begangen, mit einer Riesenfete im Berliner Kino „Kosmos“, und für die allerbesten Geburtstagskinder gab es gar eine Dampferfahrt auf der Havel. Nicht alle waren eingeladen, manche sogar ausdrücklich ausgeladen, zum Teil schon Jahre zuvor, via Knast, oder Richtung Hamburg ...

Oder aber so: „Einschätzung über Kollegen Dietmar Hochmuth“ vom 20.05. 1983. „(...) Das DEFA-Studio für Spielfilme hat in den letzten Jahren eine konsequente risikobereite Politik der Erprobung und Heranbildung von Nachwuchskadern besonders auf dem Gebiet der Regie betrieben. Dabei ist es unumgänglich, von ideologischen und künstlerischen Maßstäben auszugehen, wie sie die Kämpfe in unserer Zeit erfordern und wie sie auf dem X. Parteitag und auf den folgenden Plenartagungen formuliert wurden. In Anwendung solcher Maßstäbe muß anhand praktischer Bewährung entschieden werden, welche der sich um den Regieberuf bewerbenden Kader die Berechtigung haben, die Funktion des Spielfilmregisseurs auszuüben.

In diesem Sinne organisierte die Studioleitung auch die Entwicklung des Absolventen Dietmar Hochmuth als einen festen Bestandteil unseres langfristigen Kaderprogramms und der jährlichen Pläne der Kaderarbeit. Mit ihm wurden zahlreiche Diskussionen in der betreuenden Dramaturgengruppe und beim Generaldirektor über das erste Langmetrageprojekt für Dietmar Hochmuth geführt, darunter ein von uns für aussichtsreich gehaltenes Projekt über die Drushba-Trasse. Alle Bemühungen, zu einer Übereinstimmung zwischen dem Regisseur und der Autorin, Genossin Margarete Neumann, zu kommen, schlugen jedoch fehl.

(...) Im Prozeß der Vorbereitung und Realisierung seines Filmdebüts hat sich herausgestellt, daß es Dietmar Hochmuth in beklagenswertem Maße an der Fähigkeit zur Kooperativität, die eine Grundvoraussetzung für die Arbeit eines Spielfilmregisseurs ausmacht, mangelt.

Befangen in einer starken Ichbezogenheit zeigt er bisher nur wenig Neigung, kollektiv gearbeitete Wertungen, Empfehlungen und Auflagen für seine eigene künstlerische und ideologische Entwicklung nutzbar zu machen. Eine ausgesprochen unkritische Haltung zur eigenen Leistung erschwert in hohem Maße seine planmäßige Entwicklung zu einer Führungspersönlichkeit großer Menschengruppen, der die Arbeiter- und Bauernmacht Millionenwerte und Masseneinfluß anvertraut. (...)“

Hans Dieter Mäde, Generaldirektor

(Der Filmemacher — und mittlerweile taz-Autor — Dietmar Hochmuth konnte seinen nächsten Film erst 1988 drehen. Diese „Einschätzung“ bekam er bei seiner Entlassung im Dezember 90 erstmals zu Gesicht.)

Zurück zum Geburtstag: Die gestrige Feier fiel kleiner aus als die vor fünf Jahren, sozusagen auf Wunsch der Verstorbenen, im engsten Familienkreis. Dafür aber in Cannes, wo in der Broschüre zum Stand focus germany unter der Spalte „Gäste und Sponsoren“ obenan zwei Herren aus dem ehemaligen Führungszirkel stehen: Gert Golde und Andreas Scheinert. Nur heißt der einstige Generaldirektor heute Geschäftsführer und der Hauptdramaturg Genosse Marketing. Sie vertreten Berlin-Brandenburg und laden, zusammen mit den Kollegen aus Hamburg, Berlin und NRW, „täglich von 9 bis 11 zu Milchkaffee und Croissants auf der Terrasse der Royal Bar — eine angenehme Gelegenheit, in der Morgensonne beim Frühstück über Film und Kino zu reden und interessante Leute kennenzulernen.“ Bon appetit! taz

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