piwik no script img

Raubtier losgelassen

■ „Laura and her Tigers“ ironisierten West-Rituale der Popmusik

Wer hat die rausgelassen? Neun schwarzbebrillte Mafiosi hetzen am Samstag auf der Bühne des Schlachthofes herum wie von der Hexe getrieben, ein zehnter mit Gitarre sitzt bewegungslos auf rotem Büromöbel, als hätte er was am Bein, und zwei Ladies in Black aalen sich lasziv hinter den Mikros. Wer gerade nichts zu spielen hat, erstarrt in Schaufensterpuppenpose, während ein Glatzkopf mit Posaune sich am Bühnenrand ungezogen phallisch gebärdet. Einer mit Hut grölt auf deutsch Ansagen, die kein Mensch versteht; in das exakt choreogrphierte Rumgewusel mischen sich zackige Gesten, die musikalisch in dem schlichten „Plopp“ einer Handtrommel verpuffen: Da kommen sie aus dem frischbefreiten Osten ins neue Deutschland und haben noch nicht einmal gelernt, die hehren Rituale der Popmusik ernstzunehmen.

„Laura & Her Tigers“ haben, dem tschechischen Underground entwachsen, schon auf einigen westlichen Provinzfestivals Top- Acts hinter die Kulissen gespielt. „Daß aus dem Osten noch was Neues kommt“, wollten die Veranstalter dem Schlachthof-Publikum vorführen und blieben den Beweis nicht schuldig, daß man mit dröhnendem Bläser-Vollton, bis zur Karrikatur überzogener Bühnenshow und einem ost-typischen hektischen Groove auch einer vom Konzept her eher schlichten Reise durch 2O Jahre Rockgeschichte neue Impulse geben kann.

„It's only Rock'n Roll“, brüllte der Sologitarrist ein ums andere Mal, aber es war dann doch ein bißchen mehr. Eine halbe Stunde allerdings pumpte Bandleader und Bassist Karel Sucha seine Leute rücksichtslos durch einen geraden Beat. Doch dann mehrten sich bizarre Zwischentöne: Fake-Jazz-Soli von Klarinette und Sax, schrammelnder Jive, ein böse brummendes Euphonium als Übergang zu afrikanischen Stammesgesängen, plötzlich A-Capella: „Barbara Ann“. Auch gesanglich hatte die Truppe einiges zu bieten. Daß sie zudem mehr draufhaben, als europäischen Stilmischmasch zu ironisieren, zeigten die wenigen Midtempo-Songs: Europäische Melodien über verhaltenem Balkan-Gebläse. Gegen Ende zollten sie ihrer Vorliebe für afrikanische Zitate Tribut mit einem schönen Lied über „Azania“ (Zulu-Wort für befreites Afrika). Das haben dann, trotz Sprachbarrieren, die meisten im tanzfreudig gestimmten Schlachthof verstanden. Rainer Köster

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen