Die Haare dürfen gerauft werden-betr.: "Grüne ohne Fundament", taz vom 13.5.91

betr.: „Grüne ohne Fundament“, taz vom 13.5.91

Geburten und Todesfälle haben (mindestens) eines gemeinsam: Bei beiden werden Karten geschickt und geschrieben. So sollte es auch hier sein. Eine Geburtskarte für die Ökologische Linke (ÖL), deren Geburt sich nun durch die heftigen Wehen grüner Spaltung angekündigt hat.

Eine Todeskarte allerdings für — tja, für wen? Für den Grünen Rest (GR), für jedwede Träume, Kohl vor seinem Tod als Kanzler abzusetzen, für jegliche Vernunft einer an der Realität orientierten Politik?

Es ziemt sich in Todesfällen nicht, Schlechtes aufzuzählen oder anzuklagen. Es hat auch wenig Nährwert, etwa der ÖL vorzuwerfen, sie hätte grüne Politik unmöglich gemacht; die ÖL ist doch in der Tat nicht schuldiger an der Misere als jedeR andere Grüne auch. Und trotzdem sieht es im ersten Moment so aus, als wäre das Trümmerfeld der grünen Partei weit davon entfernt, Startbahn sein zu können für einen Phönix. Wer sollte das sein? Die ÖL mag vielleicht nun die übriggebliebenen KommunistInnen aufsammeln, denen die Grünen bisher immer zu bürgerlich waren, auch einen Teil der PDS mögen sie aufsaugen können, und vielleicht gibt es ja auch den einen oder die andere wundersame SPDlerIn, der/die sich von ihr angezogen fühlt. Aber sie hat doch kaum eine Chance, über drei Prozent zu kommen, wie sollte sie dann fünf Prozent schaffen?

Die Grünen schweben wirklich ohne Fundament im Raum herum und werden wohl ihres Lebens dadurch auch kaum glücklicher. Wen sollten sie als PartnerIn nehmen, um einen von 20 WählerInnen ansprechen zu können? Hier mag vielleicht die Affinität einiger SPDlerInnen zu wechseln größer sein. Aber seien wir doch ehrlich, allein den quantitativen Verlust der Partei und der WählerInnen durch die Abspaltung der ÖL vermögen doch diese Schnipsel nicht zu decken. Hinzu kommt der qualitative Verlust. Es kam doch auch nicht von ungefähr, daß in Vorständen, Arbeitsgruppen etc. pp. im Verhältnis zur Basis überproportional viele Linke vertreten waren. Die „Realos“ können ihnen doch vorwerfen, was sie wollen — aktiv waren sie, sind sie und werden sie weiterhin sein.

Das Dilemma ist schlicht unlösbar, wenn man zumindest so realitätsbezogen ist, daß man die Fünf- Prozent-Marke im (wahlweise linken oder rechten) Auge behält, zumal das linke/grüne/feministische/ ökologische WählerInnenpotential kaum über zehn Prozent steigen wird, um beide Gruppen zu saturieren — abgesehen von dem Dilemma für die WählerInnen, die sich vielleicht hübsch artig auf bestenfalls vier Prozent Grün und drei Prozent ÖL einpendeln — sieben Prozent des in vielen Punkten doch gleichen Potentials schlicht vom Winde, respektive von der Verfassung verweht. Die Haare dürfen also kräftig gerauft werden, wenn sie nicht ob vorzeitiger Alterserscheinungen schon ausgefallen sind.

Drehen wir den Spieß doch um — setzen wir dem unlösbaren Problem eine profane Absage entgegen — Schluß mit der Debatte, aufgehört mit dem Gejammer, zerreißen wir die Karten, verflixte Gefühlsduselei. Leben wir wild und...gemütlich! Sebastian Lovens, Duisburg