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Glocken, Fahnen und Feuerwerk

Der 3. Oktober 1990 — Ein Medienereignis auf dem Prüfstand  ■ Von Karl-Heinz Stamm

Zwar ist die Vereinigung längst vollzogen und der bittere, oft auch banale Alltag hat die Anfangseuphorie der politischen Wende verdrängt, doch die Uhren der Wissenschaftler gehen bekanntlich langsam. Nicht nur die Historiker haben sich ans Werk gemacht, die junge Geschichte einzuordnen und zu klassifizieren, auch die Medien- und Kommunikationswissenschaftler sind dabei, die Bilder von der „Herbstrevolution“ zu analysieren, die Medienberichterstattung unter die Lupe zu nehmen.

Aber nicht der Fall der Mauer, nicht der Umbruch stand letzte Woche auf dem Prüfstand, also jene Zeit, in der das Fernsehen selbst zum Keilriemen der Revolution wurde und besonders das öffentlich-rechtliche zur Höchstform aufgelaufen war, sondern der „Tag der deutschen Einheit“ selbst. Jener 3. Oktober also, der fortan unser aller Nationalfeiertag sein soll.

„Wie Fernsehen, Hörfunk und Zeitungen den Tag der Vereinigung darstellen, wissen wir. Wie aber erlebten Sie den Tag?“ hatten die Mitarbeiter einer Forschungsgruppe des Hans-Bredow-Instituts in Hamburg und des Instituts für Medienforschgung an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolff“ in Potsdam vermittels 2.400 Fragebögen gefragt. In Babelsberg legten sie erste Resultate dieser Ost-West-Kooperatation vor.

Das Ergebnis scheint banal, denn, wie sollte es anders sein, im Mediennutzungsverhalten spiegelt sich die unterschiedliche Betroffenheit der West- und Ostdeutschen von der Vereinigung wider: So schalteten die Befürworter den Apparat ein, um via Bildschirm am Ereignis beteiligt zu sein, während die Gegner einen Ausflug ins Grüne vorzogen. Ein Leipziger beschreibt den entscheidenden Moment um Mitternacht so: „Es wird 24.00 Uhr. Wir schenken Sekt ein, Fernseher an, die Nationalhymne erklingt. Wir fallen uns in die Arme.“

Bei den Westdeutschen ist von der Atmosphäre des Gemeinschaftlichen wenig zu spüren, auch zur „Stunde Null“ bleibt das Publikum im Sessel sitzen, wenn es den Fernseher eingeschaltet hat. Fazit: Diejenigen die dem Ereignis positiv bis freudig gegenüberstehen haben das Medium vorurteilslos genutzt, während diejenigen, die die Vereinigung kritisch sehen, auf Fernsehkonsum teils ganz verzichtet haben.

Das scheint die Vermutung nahe zu legen, der Zuschauer sei weitestgehend resistent gegenüber der Berichterstattung. Weit gefehlt, denn ein Teilergebnis der Untersuchung weist gerade darauf hin, daß den Medien an diesem Tag, der nichts anderes als ein abstrakter Verwaltungsakt war, eine zentrale Rolle zukommt. „Es kommt im Moment nur von Außen, daß es etwas besonderes war, dabei zu sein“, steht auf einem der zurückgeschickten Antwortbögen: „Ich glaube zu wissen, daß es die Einheit jetzt gibt, aber die Medien berichten ja von nichts anderem. Da muß man es ja glauben.“ Was hier ganz offensichtlich wird ist, daß die eigene Erfahrung durch diejenige überlagert wird, die in diesen Tagen durch ein wahres Bombardement an Bildern und Statements aus der Glotze quillt.

Das persönliche Erleben und die persönliche Erfahrung scheinen unmittelbar auf das Fernsehen bezogen zu sein. Die Berichterstattung tat ihr übriges, sie zielte ganz darauf, das Ritual höchst staatstragend in Szene zu setzen. Nicht nur im Hinblick auf seine Kritikfunktion blieb das Fernsehen hinter sich zurück, auch der Widerspruch, das Nachdenkliche wurde einer Berichterstattung untergeordnet, die eines zeigen wollte: „ein geordnetes Fernsehfest“. Daß das Medium zum Transmissionsriemen einer imaginären staatlichen Zielsetzung mutierte, zeigte sich auch am Desinteresse, das die Moderatoren vor Ort ihren Gesprächspartnern entgegenbrachten.

Die falschen Erwartungshaltungen der Journalisten taten ihr Übriges, sie schienen an diesem Tag die Parole „Wir wollen Freude einfangen“ ausgegeben zu haben. Dementsprechend gingen ihre Stimmungsbilder an der realen Erfahrungen des Publikums, das sich unter den Linden eingefunden hatte, vorbei. Soweit ein Teil der vorgetragenen Analyse der TV-Berichterstattung. Ohne Zweifel bedarf sie noch der nötigen Zuspitzung, vor allem aber wurde nicht ersichtlich, was das für ein Maßstab war, an dem man die Berichterstattung des Fernsehens gemessen hatte.

Dabei machte eine Mitarbeiterin des Projektes am Schluß des Tages den Versuch die Bewußtseinslage der einstmaligen DDR-Bürger zu charakterisieren: Der psychische Ausnahmezustand, so ihre Ausführungen, reicht von Furcht, Euphorie, Ohnmacht, Sucht nach Information, Erschütterung über die Vergangenheit bis zu einem Gefühl der Heimatlosigkeit. Damit aber waren die Erfahrungslagen benannt, die in der Fernsehberichterstattung sich hätte widerspiegeln müssen.

Was ist das Bleibende, welches sind die Bilder, die den Tag überdauern, fragte Peter Hoff und analysierte die verschiedenen Jahresrückblicke der Sender. Wenig Hintergründiges, dafür aber jede Menge Glockengeläut, wehende Fahnen und buntes Feuerwerk. Auch wenn die Berichterstattung des DFF davon abwich, so wird doch eine inhaltliche Argumentationslinie über den Tag hinaus bestand haben: Das ist der Einheitstag als geradlinige Entwicklung „von der Freiheit zu Einheit“. Aber auch die in dieser Zeitung rezensierten Videocasetten werden überleben. Neben der beschriebenen Argumentationsfigur verkaufen sie die historischen Bilder gleichsam als Devotionalien.

Auch wenn die Studie schon wegen der geringen Rücklaufquote an Antworten auf wenig gesicherten Füßen steht (einen Anspruch auf Repräsentativität stellt sie ohnehin nicht) und ihre einzelnen Teile (Sprachanalyse, Medienästhetik, Erlebnisweisen der Rezipienten etc.) noch insgesamt zu zusammenhangslos im Raum stehen, so hat das Projekt doch eines klar gemacht: Die zukünftige Aufgabe des Mediums, die darin besteht das Zusammenwachsen der beiden Teile Deutschlands kritisch zu begleiten, kann nur gelingen, wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen seine Integrationsaufgabe ernst nimmt. Wie aber kann das gelingen, so ein Projektmitarbeiter am Ende der eintägigen Tagung, wenn Vorurteile und Stereotypien die Sicht auf die realen Erfahrungslagen der Menschen, Ost wie West, verbauen? Ein Blick auf die Berichterstattung am deutschen Einheitstag läßt jedenfalls nicht viel Gutes erwarten.

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