: Sowjetische Militärs hinterlassen eine Mondlandschaft
Merzdorfer Bürger protestieren gegen Bombenabwurfplatz/ Kommt nach den Sowjetsoldaten die Bundeswehr? ■ Aus Merzdorf Katrin Bluhm
„Dreißig Jahre Besatzung reichen“, sagt Brigitte Stockmann, Bürgermeisterin des rund 50 Kilometer südlich von Berlin gelegenen Ortes Merzdorf, und meint damit die Sowjettruppen in Ostdeutschland. Die Kommunalpolitikerin hatte am Pfingstmontag zu einer Protestwanderung ins Sperrgebiet Golm geladen.
Der bewaldete Höhenzug war Anfang der 60er Jahre zum sowjetischen Bombenabwurfplatz erklärt worden. Kampfflugzeuge vom Typ MIG fliegen ihn immer noch zum Übungsschießen an.
Es sei ja nicht allein der Lärm, der die Bürger beunruhige, sagt die Bürgermeisterin. „Zwei MIGs sind innerhalb der letzten anderthalb Jahre in der Nähe der Dörfer abgestürzt. Ein Hubschrauber hat 350 Meter von unserem Kindergarten entfernt eine Rakete verloren.“ Nur am Wochenende haben die Dorfbewohner Ruhe. Unter der Woche fliegen die Sowjets von morgens früh bis Mitternacht. Heimliche Messungen eines Bürgers von Merzdorf, noch zu DDR-Zeiten, haben einen Lärmpegel von mehr als 120 Dezibel ergeben. „Ab 75 Dezibel wirkt Lärm gesundheitsgefährdend“, sagt Brigitte Stockmann. „Die Kinder können nicht schlafen, alte Leute bekommen Depressionen.“
Am Rande des Schießplatzes bleiben die Autos der Demonstranten stehen. Viele der Neugierigen sind ehemalige Besitzer des Wald- und Ackerlandes. „Märkische Heide, märkischer Sand“, sagt Helmut Demgensky sarkastisch und zeigt auf sein altes Feld. Hier könne man vorerst nichts mehr anbauen. Ein paar Meter weiter treffen die Dorfbewohner auf einen Schrottplatz, der zum Zielschießen dient.
Zerschossene russische Lastwagen rotten vor sich hin. Übungsraketen mit noch immer funktionstüchtigen Zündern stapeln sich zu einem meterhohen Haufen. Benzin strömt aus Tankfässern. Teerbinden, Ölfässer, Berge von Schrott. Der Boden ist fleckig. Öl klebt an den Schuhen. Betretenes Schweigen macht sich breit. „So schlimm hatten wir uns das nicht vorgestellt“, sagen die Demonstranten.
Nach zehn Minuten kommt ein sowjetischer Jeep angefahren. „Ein bißchen Angst habe ich vor dem schon“, gibt eine Frau zu. Der Major bittet die Anwohner höflich, das Sperrgebiet zu verlassen. Die Warnung, nicht weiter zu gehen, hat ihren Sinn. „Dort hinten liegen Blindgänger rum“, weiß der demonstrierende Joachim Schulze.
Der Major läßt durch seinen Dolmetscher sagen, daß das Gebiet vor dem Abzug der sowjetischen Truppen gereinigt wird. „Sein Wort in Gottes Ohr“, flüstert ein junger Mann. Etwas schockiert verlassen die Merzdorfer das Gelände. „Das ist doch eine Riesenschweinerei“, mokieren sich die ungebetenen Besucher.
Kaum weniger Sorgen als die Umweltverschmutzung macht den Demonstranten aber die Zukunft: Hartnäckige Gerüchte gehen um, wonach der Bombenabwurfplatz Merzdorf nach dem Abzug der Sowjets von der Bundeswehr übernommen werden soll.
Helium-Ballons steigen in den Himmel, und ein großes Transparent am 178 Meter hoch gelegenen Aussichtsturm kündet von ihrem Protest gegen den Militärstandort: „Schwerter zu Pflugscharen“. ap
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