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Knall auf Fall

■ Kupfers „Carmen“ an der Komischen Oper Berlin

Gleich der erste Orchesterschlag soll sitzen wie ein Axthieb. Das Hirn gespalten, der Verstand in tausend Teile zersplittert, der Rest ist fürs Gefühl. So fängt es immer an: fortississimo samt Blech und Becken. So spielt es fort und endet in tödlicher Leidenschaft. Carmen, das ist, wie jeder weiß, eine Sache nur für den Unterleib. Ein wildes Fieber, ein Naturereignis, stark, südlich, sonnig, schwitzt nicht und so weiter. Kein Bild, das nicht längst verbraucht, kein Begriff, der nicht schon im Dutzend billiger verramscht worden wäre.

Carmen von Georges Bizet, an der Komischen Oper Berlin im Jahre 1949 von Walter Felsenstein und Otto Klemperer in einer spektakulären Fassung herausgebracht, wurde jetzt an diesem Hause zum wiederholten Mal neu inszeniert. Für den Anfang hat Harry Kupfer ein unerhört starkes Bild erfunden: bricht die Musik los, schlägt eine Tür auf in der stählernen Wand, die das Publikum noch trennt von der Oper: gleißendes Licht fällt ein, hysterische Menschenmassen branden durch die Öffnung, kaum zu bändigen von einer Kette Soldaten — denn hier hinten ist das Stück schon zu Ende, die Menge geleitet die Quadrilla der Toreros auf ihrem Weg in die Arena. Als das Vorspiel im lyrischen Mittelteil anlangt, ist die martialische Metallwand wieder dicht. Ausgeschlossen davor ein einsamer Soldat: Don José — beäugt von einer rot-schwarzen Frau hoch oben links auf der Feuerleiter: Carmencita. Das Schicksalsmotiv klingt auf.

Leider müssen die beiden dann auch singen, ohne Playback, ohne Netz und doppelten Boden. Oper ist eben doch kein Kino. Alle schuften schrecklich, sie schwitzen und schnaufen. Das junge Sängerpersonal, das Kupfer für seine Carmenversion zusammengeholt hat, erweist sich als rettungslos überfordert — nur Sabine Paßow in der Partie der Micaela läßt hören, was als einzigartige Leichtigkeit dieser Musik so oft so hochgerühmt worden ist. Auch die Chöre und Ensembleszenen gelingen passabel, vom Orchester besser zu schweigen — das war es dann schon. Gewiß, möglich wär's und ist ja auch häufig genug schon so gemacht worden: eine Carmen mit der halben oder ganz ohne die Musik. Leider geht Kupfers Carmen noch an ganz anderen Stellen aus dem Leim.

Sein Konzept setzt aufs Klischee: Schlagen wir dem werten Publikum mal Knall auf Fall alles um die Ohren, was es sowieso schon vorher weiß. Also erstens Erotik, zweitens Folklore, drittens Schicksal, viertens viel, viel, viel Temperrrament — und immer a tempo. Wer so die Hosen runterläßt, muß freilich auch was zu bieten haben. Die Carmen- Klischees sind eine gefährliche Kiste, weil sie ja immer noch stimmen. Auch die Musik, längst auswendig gehört, lügt nicht — nur muß sie eine Handbreit über der Echtzeit schweben dürfen. Diese Inszenierung aber packt viel zu grob zu, sie bringt es nur zu stampfenden, knallenden, prustenden Peinlichkeiten. Geschwindigkeit ist hier nur Schlamperei, aus den leichten Tänzen werden dumpfe Schuhplattler, die Erotik verkommt zu krampfiger Gymnastik. Es geht zu in Sevilla wie auf dem Oktoberfest. Und dem hohen Paar Carmen & José bleibt, als zwei buntbemalten Schießbudenfiguren, nur noch ein Schicksal lähmender Lächerlichkeit.

Obendrein ist die Oper glatt um ein Drittel eingedampft worden und hetzt ohne Pause durch von Highlight zu Highlight: Carmen als Querschnitt, wie sie jeder daheim im Plattenschrank stehen hat. Dort freilich, wie gesagt, um einiges besser. Die neue Carmen an der Komischen Oper ist in jeder Hinsicht ärgerlich. Mag sein, Harry Kupfer hat es nicht mal mehr nötig, seine Hausaufgaben ordentlich zu machen. Was wahrhaftig schade wäre. Elisabeth Eleonore Bauer

Carmen — von Georges Bizet, in einer Fassung der Komischen Oper. Regie: Harry Kupfer;

Bühnenbild: Reinhart Zimmermann; Kostüme: Eleonore Kleiber; Musikalische Leitung: Rolf Reuter. Mit Marilyn Schmiege, Sabine Paßow, Neil Wilson und anderen.

Einzige und letzte Aufführung in dieser Spielzeit: 29. Mai

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