Häßliches Bastardkind

„Die Schmutzigen, die Häßlichen und die Gemeinen“ — ein Ettore-Scola-Film von 1976  ■ Von Gerhard Midding

Wer glaubt, seinen Scola nach der gefälligen Melancholie und fulminanten Theatralik seiner letzten Filme zu kennen, der sei gewarnt: Die Schmutzigen, die Häßlichen und die Gemeinen, der mit 16 Jahren Verspätung nun in unsere Kinos kommt, ist eine derbe und grausame Posse: ein häßliches Bastardkind des Neorealismus und der trivialen italienischen Filmkomödie. Entstanden ist er in einer Zeit, als den Regisseur sein soziales Gewissen noch ärger drückte und als sein Humor noch gröber und subversiver war. Die Titelhelden hausen in einer Baracke auf den Hügeln außerhalb Roms. Giacinto (Nino Manfredi) ist ein unleidlicher und grotesker Patriarch, immer auf der Hut davor, daß ihm seine Großfamilie (sie scheint sich täglich zu vermehren) die Million stehlen könnte, die er vor Jahren nach einem Unfall von der Versicherung bekam. Als sich der alte Geizkragen eine junge Freundin anlacht und fortan die Spendierhosen anzieht, beschließt der Familienrat, sich ihn endgültig vom Hals zu schaffen. Die Mutter bereitet die Pasta diesmal mit Rattengift zu.

Minutiös zeichnen Scola und sein bewährter Co-Autor Ruggero Maccari das Leben im Wellblech-Slum nach. Nicht als kleines Welttheater der menschlichen Leidenschaften, sondern als eines der niedrigsten Instinkte: von der vielbeschworenen Solidarität der Armen weit und breit keine Spur, Habgier, Neid und Geilheit regeln Tagesablauf und Zusammenleben.

Scola zelebriert die Bosheit und Schäbigkeit seiner Figuren auf höchst vergnügliche Weise. In Giacintos Familie herrscht wüsteste Anarchie: seine Söhne sind entweder Diebe, Faulenzer, Transvestiten oder setzen sich gegenseitig Hörner auf, und die Frauen in der Familie wissen, daß hier die Liebe nur in ihren handgreiflichsten Formen existiert. Dennoch muß sich Scola nie mit Hilfe eines aufgesetzten moralischen Fingerzeigs des Verdachts erwehren, er würde seine Figuren denunzieren. Er weiß: die Schmutzigen, die Häßlichen und die Gemeinen im Publikum lachen mit.

Daß Scola diese Gratwanderung so sicher gelingt, ist erstaunlich. Scheint er doch ansonsten eher disponiert, die wohltemperierten Selbstfindungsprozesse seiner bürgerlichen Helden zu erzählen. Dieser Film jedoch spielt fast ausschließlich im Slum, der Szenenwechsel ist konsequent als Bruch inszeniert. Nie entläßt der Regisseur seine Zuschauer angesichts von Schmutz und Elend in die Illusion oder Sentimentalität (wie es etwa der frühe Neorealist Vittorio de Sica tat). Wenn Scola seinen Film mit einer nächtlichen Kamerafahrt durch die heillos überfüllte Schlafbaracke eröffnet und genauso beendet (mit mittlerweile verdoppelter Bewohnerschaft), dann wird klar, was das Schlimmste ist: daß es immer noch ein bißchen schlimmer werden kann.

Ettore Scola: Die Schmutzigen, die Häßlichen und die Gemeinen , Buch: Ettore Scola und Ruggero Maccari, mit Nino Manfredi, Franceso Anniballi, Maria Bosco u.a., Italien 1976, 115 Minuten