Kommunismus? „Schluß, Aus, Ende“

■ Die Marxistische Gruppe (MG), Schreck vieler Veranstalter und Hochschullehrer gibt auf auf

Ein handgeschriebener Zettel hängt an dem Buchladen in der Herderstraße: „Räumungsverkauf“. Die Marxistische Gruppe (MG) löst sich auf und versucht, ihre eingelagerten Parteischriften loszuwerden. Die letzte Kommunistische Organisation, die letztlich aus der Studentenbewegung der 60er Jahre entstanden ist, räumt ihr Scheitern ein.

Etwas niedergeschlagen standen gestern zwei Männer in dem Kellerladen. Wie soll es weitergehen? „Schluß, Aus, Ende“, sagt der eine. Die internen Autoritätsstrukturen und Unsicherheiten funktionieren aber noch. Reden über das Ende will keiner. „Ruf doch Rolf Röhrig an“, ist die stereotype Auskunft.

In einem Karton liegen Broschüren aus dem Parteiverlag des Bremer Hochschullehrers Freerk Huisken. Diskussionen, die zum Ende der MG geführt haben? „Weiß ich nicht. Ruf doch den Rolf Röhrig an.“ Und die MG? „Ich habe damit nichts zu tun. Ich bin nicht in dem Verein.“

Rolf Röhrig ist Sprecher der MG vom ersten Tag an, als er in den 70er Jahren in der Bremer Uni auftauchte. Die besondere staatliche Repression ist die offizielle Begründung der MG für ihre Auflösung, Berufsverbote vor allem in Bayern — in München waren neun MG-Leute ausgerechnet beim Bildungswerk der Arbeitgeberverbände untergekommen. Auch Röhrig ist in den 70er Jahren bei der Bremer Volkshochschule herausgeflogen. Aktuelle Meinungsverschiedenheiten? Haben keine Rolle gespielt, sagt Röhrig. Die Argumente seien auch nicht schlechter geworden, allerdings ging die Zahl derer zurück, die die in München produzierten Flugblätter verteilten — die Genossen fühlen sich bedroht.

Der Verfassungsschutz Köln hat eine Broschüre über die MG herausgegeben, in der eine Menge von Banalitäten und Erkenntnissen über die MG populär zusammengefaßt sind. Die Bremer Kollegen scheinen einigermaßen überrascht, was die Kölner Kollegen da mit ihrer Broschüre angerichtet haben. Natürlich sei auch die bremische MG mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht worden, räumt VS-Chef Wilhelm ein. Aber daß die Gruppenaktivität eingestellt wurde, sei ihm bislang nicht bekannt. Auch von Meinungsverschiedenheiten, wie sie normalerweise Auflösungen vorhergehen, oder von Austrittswellen weiß er nichts: „Das hätten wir möglicherweise gemerkt.“

Auch der AStA hat nicht gemerkt, daß es die MG nicht mehr gibt. Sie erschien vor allem in Form ihrer Büchertische. Zuletzt wurde die Diskussionsveranstaltung zur Zensur im Golfkrieg massiv von bekannt arroganten MG-Dauerrednern gestört.

Anruf beim Betriebsrat von Klöckner. MG? Es gab einmal einen MG-Anhänger im Betrieb, erinnert sich ein Betriebsrat, der hat aber vor zwei Jahren die Arbeit aufgegeben, seitdem gab es kaum noch Flugblätter vor den Betriebstoren.

Beim Verfassungsschutz weiß man, daß eine Fernsehsendung im Bayerischen Regionalprogramm vor zwei Jahren die MG in ihrer Münchener Zentrale aufgeschreckt hat. Seit über einem Jahr werde die Selbstauflösung intern diskutiert, die Mitgliederzahl sei aber nicht merklich gesunken.

Das Phantom scheint unerklärlich. Mit dem bekannten Stolz bekundete die MG noch auf einem der letzten Flugblätter, ihre Mitglieder „beteiligen sich nicht an der Suche nach Perspektiven für einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz“. An der Planwirtschaft der DDR kritisierte sie vor allem, „daß sie keine war“. Keine Realität schien drastisch genug, um das Kartenhaus der logischen Halbsätze zum Einsturz zu bringen.

Das Geheimnis der Selbstauflösung führt unweigerlich wieder nach München zu Karl Held, einem der Führer der MG. Nein, die Drohung der Berufsverbote allein erklärt die Kapitulation von Revolutionären noch nicht. Die Repression steht im Verhältnis zum ausbleibenden Erfolg der Organisation: Die MG habe es „auf Zustimmung beim Proletariat abgesehen — und im Moment steht die Sache so, daß wir außer Opfern nichts produzieren.“ War also der politische Ansatz falsch? „Nein.“ Also gibt es im Moment keinen Kommunismus? „Nein.“ Und bei der Gründung der MG war es auch schon so? „Ja. Wir haben uns nie Täuschungen in dieser Frage hingegeben. Aber die Verfolgung war noch nicht so gediehen.“

Im Buchladen in der Herderstraße klingelt das Telefon. „Die Plakatständer, ja, die verkaufen wir auch, ganz billig. Vielleicht zehn Mark das Stück. ... Ja, ihr müßt sie aber selber abholen.“ Die Grünen haben die Zeichen der Zeit erkannt. K.W.