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Menschenrecht auf Eltern

■ „Gegen gemeinsames Sorgerecht“ — taz v. 22.4.91

Ein immer größer werdendes gesellschaftliches Problem verlangt nach besseren und neuen Lösungsstrategien, um Leid und Unheil für Kinder und Eltern so klein wie möglich zu halten.

Hinter den Zahlen verbergen sich Schicksale. Jedes dritte Ehepaar in Deutschland läßt sich scheiden. Zwischen den Fronten ihrer unversöhnlichen Mütter und Väter stehen 1,3 Millionen Kinder. In jedem Jahr entziehen deutsche Richter in 100.000 Fällen einem Elternteil „zum Wohle des Kindes“ das Sorgerecht. Wer diesen Kampf um das Sorgerecht verliert, verliert in über der Hälfte der Fälle nach einem Jahr auch den Kontakt zu seinem Kind. Hält die Entwicklung an — Jugendämter und Gerichte sagen dies voraus —, wird bis zum Jahre 2000 jede zweite Ehe geschieden werden.

Die Eltern selbst sind während der Trennungsphase zu sehr mit sich selbst und den Fehlern des Partners beschäftigt. Sie bräuchten einen Berater, der die Interessen ihrer Kinder vertritt. Hier kann auch ein Erfahrungsaustausch zwischen betroffenen Eltern helfen.

Mediation (d. h. im Falle der Trennung/Scheidung im Interesse der Kinder zu helfen, zu vermitteln und zu schlichten) ist dringlichst vonnöten. Eine systemische Familienberatung, die dazu beiträgt, daß die Kinder keinen ihrer Elternteile verlieren und eine Trennung nicht in Eiseskälte endet. Die Familie wird somit nicht desorganisiert, sondern lediglich positiv reorganisiert. Daß gemeinsame elterliche Entscheidungen im Rahmen einer außergerichtlichen Vereinbarung auch eingehalten werden, dafür sorgt dann der „Mediator“ als Helfer in einer verzwickten Situation, die beide Elternteile nicht alleine bewältigen können. So können die Eltern lernen, ihre frühere Paarfunktion nicht weiterhin mit der bestehenden Elternfunktion zu vermengen. Ansonsten passiert es, daß der nicht sorgeberechtigte natürliche Elternteil aus dem Leben des Kindes sozial und psychisch ausgegrenzt wird. Elternteile, die sich dagegen sperren, wissen offensichtlich nicht, was sie ihren Kindern gegenüber anrichten.

Ein Sorgerecht ist nötig, bei dem die gemeinsame elterliche Verantwortung der Regelfall ist und nicht die Ausnahme. In Dänemark wird in jedem zweiten Fall auf gemeinsame elterliche Sorge entschieden, in Finnland mittlerweile in 70 Prozent der Fälle. Dort haben die Kinder ein Recht auf die beiden natürlichen Eltern — und kein patriarchalisch orientiertes, reaktionär verbrämtes Eltern- oder Mutterrecht. Reinhold Schöler, 1. Vorsitzender des Dialog e.V.

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