: -----------------------Krawumm!
■ Neigt zu Gewaltausbrüchen: der Paukist, geheimnisvoller Hinterbänkler im Orchester / Ein Portrait
Niemals wird man den Paukisten ergründen. Halbe Konzerte lang hockt er starr und stumm auf seinem Schemel, und plötzlich steht er auf und verprügelt mit präzisem Ingrimm seine Kesselpauken. Hierauf setzt er sich umstandslos wieder hin und verfällt in Schweigen, und vom quartals- cholerischen Ausfallschritt keine Spur mehr. Aber wehe, nach 218 Takten ist er wieder dran! Da läßt er aber ein Gewummer aufmarschieren!
Herr Egon Behrens etwa, obwohl Erster Solopaukist des Philharmonischen Staatsorchesters allhier, ist ein Mann von beherrschtem Benehmen. Ein kleiner Mann, fest und kugelig gebaut. „Ach, was soll ich Ihnen schon erzählen“, sagt er mehrmals und seufzt. Na, vielleicht ob es ihn zermürbt, das lange Warten immer, bis er darf. „Och nein“, sagt er schnell, hört er eben zu so lange. Und mitzählen! Muß er ja auch! Ein bescheidener Bediensteter der Kunst ist er, der selbst das Mitzählen nicht gering achtet. In der Stirn hat er einen tiefen Kniff, aus lauter Besorgnis um immerwährende Beachtung des Taktes.
Im Schlagzeugkeller der Musikhochschule, wo er nebenher eine Klasse unterrichtet, zeigt er mir sein Instrumentarium: allerhand Vibraphone, ein Glockenspiel, drehbare Rotor-Toms, ein paar Triangel, einen Gong, Kuhglocken undsoweiter; alles hat er mal lernen müssen, aber spezialisiert hat er sich schnell: auf die vier mächtigen Kupferkessel in der Ecke.
Egon Behrens, Erster Solopaukist des Philharmonischen StaatsorchestersFoto: Sabine Heddinga
Er ist ein Paukist aus rätselschwerer Berufung. Vor vielen Jahren hat es, ein paar Häuser vom Kinde Egon entfernt, das Nachbarskind Albert auch erwischt. Freund Albert ist jetzt, nach 35 Paukistenjahren in Hannover, in den Ruhestand einberufen worden, Egon Behrens aber denkt noch nicht dran. Seit dreißig Jahren ist er in Bremen Solopaukist. Fast ebenso lange fährt er jeden Sommer als Festspielpaukist nach Bayreuth. Was ihm eine große Ehre ist, von Wagner ganz abgesehen, wo „ der Pauker schon gefordert ist! „
Am liebsten aber paukt er den Richard Strauß, die Salome zumal, „die Paukeroper überhaupt“. Ein Weilchen muß ich ihn schon bit
hierhin bitte
das Foto von dem
kompakten Mann
mit Brille
ten, dann aber setzt er sich, je nun, an seine Pauken und macht mir einen Klöppelwirbel und zwingt immer mal wieder, per Tretpedal, das Wummern bedrohlich nach oben. „Sind ja längst keine bloßen Töpfe mehr mit Fell drauf“, sagt er. Sondern vier Pauken ergeben en suite locker zweieinhalb Oktaven Spannweite.
Aber die Kollegen, lachen die nicht hinterrücks über seine zweieinhalb Oktaven Gepolter? Wo es im Orchester bekanntlich zugeht wie im Hühnerstall und schon die Ersten auf die Zweiten Geigen hacken und auf den Paukisten schließlich alle? „Nein, bewahre“, Herr Behrens winkt ab.
Immerzu muß er abwinken. „Das war vielleicht früher, diese Hackordnung“, sagt er und denkt vorsichtshalber noch einmal nach: „Obwohl, ich bin ja nun schon der Erste Pauker, und mein Kollege der Zweite. So gesehen — oder wie meinen Sie?“
Und zum Glück für den Berufsstand darf es in neuerer Musik öfters krachen. Worauf hat er nicht schon alles einschlagen müssen, LKW-Bremstrommeln inklusive! Ja die Moderne, „schon manchmal ein hartes Brot“. Den Bremstrommler, den hat er ja noch gemacht mit guter Miene, aber einmal, da mußte er „andauernd Pingpong-Bälle fallen lassen“, das hat ihn, den Bescheidenen, schon gewurmt. Ein Paukist ist an Krachschläger und sonderliche Schlawiner gewohnt. Es gibt eben welche, die komponieren nicht für, sondern gegen die Pauke, sagt er, „daß einem die Haare zu Berge stehen — Entschuldigung...“ Ist er schon wieder versehentlich vorlaut gewesen.
Was hat ihn aber damals zum Pauken verführt? „Da hatt' ich Spaß dran!“ sagt er und hat in seinem Lächeln ein wenig Trotz versteckt. Erst saß er ja auf der üblichen Spur, mit Klavier und Geige. „Aber dann“, sagt er, „aber das darf ich gar nicht sagen. Wissen Sie: Ein Streicher übt sich zu Tode!“ Hat er eben auf Pauker umgeschult. Das ehrlichste unter den Handwerken.
Gibt es vielleicht auch eine Paukisten-Innung? Treffen? Symposien? Strömungskämpfe? Methodendebatten? Trommelwirbel? Keinesfalls, sagt Herr Behrens. Man trifft sich, das schon. Klar. Aber nur so. Höchstens nur so. Und redet dann. Worüber? „Na, worüber. Den besten Schlegelfabrikanten oder so.“ So sind Paukisten.
Und erst im Konzert. Wie schwatzen doch eloquent die Geigen, die feine Harfe zirpt dazu, und mittendrein mischen sich, näselnd vor edlem Stockschnupfen, die Bläser: Und nebenan steht, an seiner Maschinerie, der Paukist. Er ist, in der frackschwänzelnden Gesellschaft des Sinfonieorchesters, der verkleidete Arbeiter, der abseits steht und, wenn er dran ist, ein Donnergrollen anrührt. Manfred Dworschak
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