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Bonn apart: Gemütlicher Kuchen

■ Bonn döst, die Randgruppen erwachen

Die rheinische Politikmetropole stellt bisweilen höchste intellektuelle Anforderungen an ihre BeobachterInnen — besonders in Wochen wie dieser, wenn das Parlament ruht, der Kanzler reist, die Geschäftigkeit stockt. Dann ist die Zeit, wo wichtige Randgruppen und Randthemen ins Rampenlicht gezerrt werden. Und oft weißt du nicht: Ist's Ernst, ist's Satire?

Ernst gemeint ist es immer. So appellierte, vermutlich noch frierend und durchnäßt, der SPD-Abgeordnete Michael Müller an Bonn, endlich was fürs Klima zu tun. Denn: „Das Wetter spielt verrückt“, und da gelte es, sich den häufenden „meteorologischen Überraschungen“ zu stellen. Wohldifferenziert doziert der Regensozi „Wetter ist nicht Klima“, gibt seine Erklärungen „zum stets ergiebigen Thema Wetter“, firmiert aber als „SPD-Klimaexperte“. Also ist er der falsche Mann, die Regierung läßt das Wetter Wetter sein bzw. Klima und lenkt das Land unberührt weiter durchs polit-meteorologische Frostzeitalter: Bundesminister Rudolf Seiters dankt jugendlichen Verkehrskadetten, sog. Schülerlotsen, jahreszeitgemäß „mit einer Rieseneistorte für ihren selbstlosen Einsatz“.

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Überhaupt geht es derzeit arg kulinarisch zu in Bonn. Die FDP gibt bekannt, sie habe jetzt einen fischpolitischen Sprecher und gleich noch einen weinbaupolitischen Sprecher dazu. Der nimmt sein Amt ernst und freut sich sehr, daß der Kanzler dem Landwirtschaftsminister „mit sofortiger Wirkung die Zuständigkeit für Wein, Schaumwein, Likörwein und weinhaltige Getränke“ übertragen hat. Eine begrüßenswerte „alleinige Resortierung des Weinrechts“ sei das, wichtig wegen des „für die Vertretung der Interessen unserer Weinbauern zunehmend an Bedeutung gewinnenden Brüssel“. Das Kanzleramt erwägt, dem Vernehmen nach, jetzt einen saumageninnenpolitischen Sprecher zu küren.

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Auch solche politischen Grundsatzfragen halst sich die große Metropole Berlin auf, wenn sie denn Regierungssitz werde. Auch die IOB — die „Interessengemeinschaft der in der Zone enteigneten Betriebe e.V.“, die jetzt in Bonn ihre Mitgliederversammlung abhielt. Dabei entschuldigte sie ihren reaktionär klingenden Titel: „Die IOB wurde vor der Gründung der DDR gegründet, daher der Name.“ Das O verstehen wir dennoch nicht.

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Dann erfuhren wir noch, der Bundeswehr sei Dank, daß niemand Geringeres als „der Beichtvater des polnischen Staatspräsidenten“ die Idee hatte, deutsche und polnische Soldaten gemeinsam nach Lourdes wallfahren zu lassen. Gut so: Wer betend blau macht, stülpt sich keine blauen Helme über und haut auch niemand tot. Soldaten aller Länder, wallfahret lebenslang nach Lourdes. Dafür darf auch das Grundgesetz geändert werden. müll

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