: „Nur Tipp-Kick war schlimmer“
Das wettkampfnahe Torschußtraining gegen Hertha BSC beendet Bayern München mit 7:3 Treffern Fans sind trotzdem sauer: Der unbeliebte Berthold kommt und Hoeneß will nur als Meister spenden ■ Von Gerhard Sepp Fischer
München (taz) — Strowe und Qualle gehören zu den eingefleischten Fans des FC Bayern. In den letzten vierzehn Jahren haben die beiden je eine Handvoll Heimspiele verpaßt — mehr nicht. Und für die Absenzen konnten sie nichts. „Da war ich krank“, entschuldigt sich Qualle (28). Schwerer vermutlich.
In den vergangenen Wochen sind die unerschütterlich Treuen ins Wanken geraten. Strowe (30), der 1967 von seinem Onkel zu einem Bayern- Spiel geschleift wurde und seither dem FCB verfallen ist, dachte ernsthaft darüber nach, die rot-weiße Fankluft in die Mottenkiste zu stecken.
Warum? „Erstens, weil sie den Berthold gekauft haben. Der ist arrogant und kann nix.“ Und zweitens? „Wegen dem Hoeneß“, schimpft der Hobby-Fan, der beruflich als Pädagoge in einem Jugendzentrum jobbt. Uli, der Monetenbeschaffer und -verteiler beim Rekordmeister, hatte dieser Tage in der Münchner 'Abendzeitung‘ verrraten, daß „wir möglicherweise eine Riesenspende an Bangladesch machen, wenn wir noch Deutscher Meister werden“. Strowe dazu: „Das ist doch wohl das Hinterletzte. Man kann doch die Hilfe für lebensbedrohte Menschen nicht mit sportlichem Erfolg verknüpfen.“ Hoeneß kann.
Für die Berliner Hertha ging es lediglich um den Erhalt der Fußball- Bundesliga. Mit Pauken und Trompeten wurde das Klassenziel verfehlt. Der Aufsteiger wirkte in der Elite-Klasse so überfordert wie Heino bei einem Konzert vor Heavy- Metal-Fans. No chance.
Bleiben wir bei der Musik. Manni Schwabl, jungenhaft wirkender Münchner Mittelfeldmann, schlug (spaßeshalber!) den Defiliermarsch vor, als er in der Stadionzeitung nach einer takt- und stimmungsvollen Untermalung für die Bayern-Tore gefragt wurde. Damit pflegen für gewöhnlich gestanden-konservative bayerische Politiker in die Bierzelte einzuziehen. Strauß, der Mann ohne Hals, galt als Inkarnation dieser Unsitte. Bei den bayerischen Fußballern ist dies (noch) nicht Usus. Immerhin, siebenfachen Anlaß zum potentiellen Defiliermarsch lieferten Thon, der drei Treffer erzielte, Wohlfarth (zwei), Effenberg und Bender. Die Berliner stimmten dreimal mit ein: Kretschmer, Celic und Zernicke. Musikvorschlag für die Hertha-Absteiger: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.
Zum Spiel: Nicht von Beginn an war abzusehen, daß die Bayern die Preußen derart derb verdreschen würden. In der Anfangsphase waren die Angriffe der Münchner so durchsichtig wie eine Klarsichtfolie. Herthas Feuerwehrmänner in der Abwehr hatten leichtes Spiel: retten, köpfen, klären. Als dem kühnen Kretschmer in der 37.Minute gar das 1:1 gelang, da hielten sich die Schadenfrohen auf der Tribüne die Bäuche vor Lachen. Nicht lange. Effenberg verdarb den Spaß keine zwei Minuten später: 2:1 (39.)
Danach gab es kein Halten mehr. Herthaner Peter Neururer nannte die zweite Halbzeit ein „wettkampfnahes Torschußtraining“ für die Bayern. 44.000 Zuschauer (fünf Mark Einheitspreis) übten überschwenglich die „Welle“. Als das Ergebnis schließlich fix und die Berliner fertig waren, da blätterten die Journalisten in den Analen. Zehn Tore — war das Rekord in einem Spiel in München? Nein, irgendwann gab es ein 11:1 gegen Dortmund. Einen Ausflug in die Vergangenheit unternahm auch Peter Neururer: „Ich habe lange überlegt, wann ich einmal 3:7 verloren habe. Ich glaube, in den sechziger Jahren — beim Tipp-Kick mit meinem Bruder.“
Herthas Zukunft besangen die Münchner Fans (mit der Filmmelodie von TV-Delphin Flipper): „Hertha, Hertha zweite Liga. Oh ist das schön, Euch nie mehr zu sehen...“ Und Strowes Zukunft: Die ist rot- weiß. „Ich bin halt ein Bayer“, sagt er achselzuckend, als er das Stadion verläßt. Aber: „Dem Hoeneß verzeihe ich das nicht.“ Und der Import aus Italien? „Schaun mer mal.“ Gib Berthold eine Chance.
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