: Panzerminen, Altöl und Chrom auf der Mülldeponie
■ Die abziehende sowjetische Armee profitiert von der Schlampigkeit der Ostpolizei/ Im Minutentakt werden in Dallgow militärische Altlasten auf eine Hausmülldeponie gekippt/ Einen Kilometer entfernt steht eine Trinkwasseraufbereitungsanlage
Dallgow. Über der Mülldeponie Rohrbeck in Dallgow, in Sichtweite der Fernstraße 5 nach Nauen, kreisen kreischend Hunderte von Möwen. Ab und zu stoßen sie herunter, zanken sich um Brotkanten und um Reste von verschimmeltem Küchenabfall. Ein Müllplatz wie hundert andere auch im Land Brandenburg, stinkend und modernd, von keiner Behörde bewacht, mit keinem Zaun abgeschirmt und im Laufe der Jahre gewachsen zu einem Berg von achtzig Metern Höhe, dreihundert Metern Breite.
Seit einigen Wochen wächst der Berg um täglich viele hundert Kubikmeter neuen Mülls. Um hochgefährlichen Dreck, um sowjetischen Abfall. Wenige Fahrminuten rund um die Kippe liegen in Auflösung begriffene sowjetische Garnisonen. Eine in Elstal und die gewaltige Panzerdivision von Nauen. Sie veranstalten ein Großreinemachen, entsorgen ihren militärischen Schrott generalstabsmäßig. Den ganzen Tag fahren im Minutenabstand die Kipplastwagen der Roten Armee vor, der Staub wirbelt auf, und er senkt sich über abgeschüttete verrostete Kühlschränke, Altbatterien, Lastwagenreifen, Benzinbehälter, Armeestiefel und zerschlissene Wattejacken. Hier bei Dallgow tickt eine ökologische Zeitbombe. »Wo die den Fuß hinsetzen, ist was drunter«, kommentierte ein Mitarbeiter des Potsdamer Umweltministeriums die Entladungen.
Vor drei Wochen noch, erzählen Landwirte, die rund um den Müllplatz Getreidefelder bestellen, gab es neben dem Abfallberg noch einen kleinen, drei Meter tiefen Teich. Eines Tages war er grün und stank bestialisch. Am frühen Morgen hatten sowjetische Soldaten Behälter mit Chromlösungen hineingeschmissen. Keiner der Landwirte hatte die Polizei benachrichtigt. »Wozu auch?« fragt einer. »Die interessiert das nicht.« Die Polizeistation in Nauen würde die Kompetenzen auf die Kollegen in Falkensee abschieben, die wiederum seien der Auffassung, daß Potsdam zuständig sei. Jetzt gibt es den Teich nicht mehr, seine Lage ist nicht einmal mehr zu erahnen. In den verchromten Tümpel kippten Soldaten Hunderte Kubikmeter stinkender Aushuberde, darüber hat sich der Schrott der letzten Tage angesammelt. Reste von technischen Anlagen, Heizrohre, ausgeschlachtete Pkws, Ölöfen und eine Ladung von Joghurtbechern. »Was mich am meisten ärgert«, sagt ein Müllsammler mit einem Eimerchen voll ausrangierter überdimensionaler Schrauben, »ist, daß einen Kilometer entfernt das Wasserwerk Radelandberg liegt.«
Abgeschüttet werden in Rohrbeck nicht nur der Wohlstandsschrott, sondern auch militärische Altlasten. Das Künstlerpaar Dirk Ehrhardt und Sabine Lugert fand hier, wenige Meter von einer Lastwagenspur entfernt, Hunderte von Panzerminen samt Zünder. Die örtliche Polizei habe sich für den Fund nicht interessiert, erzählten sie. In Nauen hätte es gegolten, ein Volksfest zu sichern. Die taz brachte eine der serviertellergroßen Scheiben auf die Charlottenburger Polizeistation am Kaiserdamm (die taz berichtete). Ein Sprengmeister erkannte sie als Übungsmunition. Die Minen seien mit Gips gefüllt, die Zünder aber voll mit pyrotechnischen Sprengsätzen. Fährt bei einem Manöver ein Panzer darüber, raucht und qualmt es, das Schwarzpulver explodiert. Experten aber, sagte Polizeikommissar Böttcher vom polizeilichen Sprengkommando Grunewald, könnten die Explosionsstoffe aus den Zündern herausfummeln und damit Unheil anstiften. Die Übungsminen wurden bis gestern früh abgeräumt, wieviel anderer Umwelthorror aber noch in der Deponie versteckt ist, weiß keiner.
Weil im Überleitungsvertrag, der den Abzug der sowjetischen Streitkräfte bis 1994 regelt, nicht eindeutig geklärt ist, wer die Sanierung von ökologisch verseuchten Gebieten zu übernehmen hat, kommt auf das Land Brandenburg noch viel Ärger zu. Zumal die Mülldeponie nicht als sowjetisches Gelände ausgewiesen ist, sondern zum Kreis Nauen gehört. Wer will später feststellen, ob die Tonne mit Altöl deutscher oder sowjetischer Herkunft ist? Deutlich sichtbar ist, daß Schriftzeichen auf einigen Containern sorgfältig abgekratzt worden sind.
Solange die Deponie ungesichert bleibt, profitieren die Mülljäger von den Altlasten. Es gibt Hunderte davon. Junge russische Soldaten stöbern nach Verkaufbarem, vor der Kamera laufen sie davon. Jugendliche streifen in Horden herum, laden Eisenteile auf ausrangierte Kinderwagen, immer auf der Suche nach Schnäppchen. An einigen Stellen brennt es, aus den Brandlöchern qualmt tiefschwarzer, ätzender Rauch. Anita Kugler
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