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Kluft zwischen Wort und Bild

■ Betr.: Fotos auf Seite 1, taz vom 18.5.91

betr.: Fotos auf Seite 1,

taz vom 18.5.91

[...] Die taz war für mich lange eine der wenigen Blätter, die die Fotografie als autonomes Medium würdigte, weil sie ihr eine eigenständige politische und künstlerische Aussagekraft zugestand, ohne daß es der textlichen Kommentierung bedarf. Dazu gehört auch die namentliche Nennung der FotografInnen, die darauf verweist, daß eine Fotografie immer nur ein Stück Wirklichkeit widerspiegeln kann.

Ich stelle jedoch fest, daß die Redaktionen der taz zunehmend auf das Bildmaterial großer Presseagenturen zurückgreifen, deren Blickwinkel auf die sichtbare Realität sich nicht selten durch eine imperialistische Sehweise auszeichnet. Die demütigenden Fotos von Flüchtlingen aus aller Welt sind zum Beispiel ein Indiz dafür.

Durch die Nichtnennung des Namens der/des UrheberIn wird eine scheinbare Objektivität suggeriert.

Parallel dazu öffnet sich in der Berichterstattung der taz eine Kluft zwischen Wort und Bild, das heißt der Bildinhalt wird beliebig und erst mit Hilfe eines kommentierenden Textes irgendwie deutbar. Die Fotografie wird zum Versatzstück der Presse, dient der „Auflockerung“ — ohne gleichzeitig den Anspruch auf Realitätstreue aufzugeben. Dadurch wird die Abbildung zur Lüge: Oder was haben lächelnde Bergarbeiter mit dem Arbeitskampf in der Sowjetunion zu tun? Durch die Funktion des Bildes als „Auflockerung“ gelingen Euch dann so „Patzer“ wie das Madonna-Foto: Als ZeitungsmacherInnen wißt Ihr sicher, daß die obere Hälfte der Titelseite ein „Hingucker“ ist. Was haben da Madonnas Beine verloren? Das ist purer Sexismus.

Diese Art „Patzer“ passieren in dieser Zeitung langsam ein wenig häufig. Die journalistische Schmerzgrenze ist erreicht, an der die taz sich nur noch wenig vom „objektiven“ Informationswahn unterscheidet. Birgit Schulz, Hildesheim

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