: "Scheinkämpfe"
■ Betr.: "Streitpunkt Homo-Ehe: Freie Liebe oder Standesamt für alle", taz vom 21.5.91
Betr.: „Streitpunkt Homo-Ehe: Freie Liebe oder Standesamt für alle“, Debattenbeiträge von Viola Roggenkamp und Jutta Oesterle- Schwerin, taz vom 21.5.91
Liebe Viola Roggenkamp, [...] Deine Argumentation empfand ich dermaßen verquer, daß ich am Ende nicht mehr wußte, wozu Du Dir die Mühe machtest, einen solchen Artikel überhaupt zu schreiben.
Du selbst willst nicht heiraten, selbst wenn Du könntest, muß ich daraus schließen. Du möchtest lieber lesbische Lebensformen suchen, denn Du möchtest Dich nicht assimilieren. Das finde ich toll. Du hättest gleich damit anfangen können, indem Du die Energie, die Du für diesen Artikel verwendet hast, in einen Denkprozeß für die Verwirklichung Deiner eigentlichen Ziele gesteckt hättest. Das hätte uns vielleicht wirklich einen Schritt weiter gebracht. Aber das hast Du nicht getan.
Dagegen kämpfst Du für Rechte, die irgendwelchen Lesben verweigert werden. Warum überläßt Du den Kampf um diese Rechte nicht denen, die sie wirklich wollen? Diese könnten dann wohl auch überzeugender argumentieren. Deine Vorgehensweise kommt mir leider sehr bekannt vor. Seit Bestehen der neuen Frauenbewegung kämpften Lesben für alles Mögliche, nur nicht für das, was sie wirklich unmittelbar angeht, zum Beispiel für die Abschaffung des Paragrapen 218, für die Durchsetzung von Frauenforschung (nicht für Lesbenforschung), und nun wollen Lesben, die selbst nie heiraten würden, sich für die Homoehe stark machen — lesbische Schizophrenie — oder die Angst, das voll und ganz zu vertreten, was wir wirklich wollen, ohne uns hinter irgendwelchen anderen Schwestern zu verstecken? Sind solche „Scheinkämpfe“ vielleicht die Ursache dafür, daß wir mit der Verwirklichung unserer Ziele so langsam vorankommen?
Wenn es die gibt, die die Lesbenehe wollen, dann muß die Zahl sehr gering sein, denn ich habe bis jetzt nur VerfechterInnen für die Ehe getroffen, die selbst nie heiraten würden, wenn sie könnten. Und deren Argumentation wirkt gerade deshalb lächerlich. Wenn wir unsere Kraft in die Ziele stecken, die wir wirklich wollen, sind wir sicher klarer, überzeugender und erfolgreicher. Dr.Barbara Gissrau, Stuttgart
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