piwik no script img

Zum Halali nach Litauen

Im einer nordrhein-westfälischen Kleinstadt wird eine Jagdklamotte besonderer Art aufgeführt/ Im Mittelpunkt steht der Fraktionschef der örtlichen SPD, der im fernen Baltikum einen Keiler erlegt haben soll, und das ohne Jagdschein  ■ Aus Lünen Bettina Markmeyer

Mitte Oktober des vergangenen Jahres befand sich eine Jagdgesellschaft aus dem nordrhein-westfälischen Lünen in der litauischen Partnerstadt Panevezys der Gemeinde auf der Pirsch. Es jagten in den umliegenden Waldungen: der Bürgermeister (SPD), der Stadtdirektor (SPD), der Chef der Stadtwerke (SPD), ein Beigeordneter (CDU) und der SPD- Fraktionsvorsitzende Hugo B., letzterer pikanterweise ohne Jagdschein. Die BürgerInnen Lünens erfuhren vom Ausflug ihrer Oberen aus der Zeitung. Die Herren, als sie zurückkamen, zeigten sich wenig gesprächig.

Nur die Grünen hatten da noch die eine oder andere Frage. Flog doch zwei Tage nach der Rückkehr der Jäger eine offizielle Lüner Delegation — diesmal mit den beiden stellvertretenden Bürgermeistern — zwecks Austausch und Völkerfreundschaft nach Panevezys. Ob die Stadt etwa auch für die Reise der Jagdgesellschaft Mittel bereitgestellt habe? Nein, die Jäger hatten selbst bezahlt. Also eine private Reise? Nun, das wiederum auch nicht direkt, erläuterte der Stadtdirektor und erwähnte die „intensive Inanspruchnahme der Teilnehmer durch zahlreiche Besuchs- und Gesprächstermine im Interesse der Intensivierung der Partnerschaft“. Also doch eine offizielle Reise? Warum hatte dann der Rat nichts erfahren? Wieso fuhr von allen Fraktionen, obwohl kein Jäger, nur der SPD-Chef mit? Und warum hatten die Herren keinen Drang verspürt, die LünerInnen an ihrer Partnerschafts-Intensivierung im Litauischen Anteil nehmen zu lassen?

Die Waidmänner indes wandten sich wieder den heimischen Belangen zu. Der Berufsschullehrer und SPD-Fraktionsvorsitzende Hugo B. machte seinen Jagdschein und bereitete sich auf seine als sicher geltende Wahl zum Chef der Stadtwerke vor. In Lünen ist der Posten des Stadtwerke-Chefs den Genossen vorbehalten, man verfügt schließlich nicht umsonst über die absolute Mehrheit.

Die Grünen aber fingen schon wieder mit ihrer lästigen Fragerei an. „Stasi-Methoden“, zischte der Bürgermeister, die Genossen meinten gar, es sei zur Hatz geblasen worden: „Kampagne“, schrien sie. Urlaub habe man genommen für den Ausflug nach Panevezys und selbst bezahlt, donnerte der Stadtdirektor. Und zum letzten Mal: Man sei nicht dienstlich im Litauischen unterwegs gewesen.

Wochen vergingen. Beide Seiten sammelten Kräfte und die Grünen darüber hinaus Punkte für eine kleine Anfrage im Düsseldorfer Landtag. Die Jagdgesellschaft war aus ihrem Urlaub erst drei Tage nach Ende der Herbstferien heimgekehrt.

Wer dem Berufsschullehrer und Lokalpolitiker B. eigentlich die Genehmigung für einen Sonderurlaub erteilt habe? Ob dieser seinem Urlaubsantrag eine offizielle Einladung aus Panevezys, eine Bescheinigung der Stadt Lünen oder einfach den Hinweis auf einen geplanten Jagdausflug beigefügt habe? Und wie der Kultusminister in Zukunft bei Sonderurlaubsanträgen politischer Mandatsträger aus dem Schuldienst sicherstellen wolle, „daß nicht genehmigungsfähige Aktivitäten — wie beispielsweise Jagdausflüge — während der Schulzeit unterblieben“? Die Antwort läßt noch auf sich warten.

In Lünen gab der SPD-Fraktionschef eine Pressekonferenz. Ja, er habe von der Regierungspräsidentin in Arnsberg drei Tage freibekommen. Vorgelegen hätte dieser Dame eine schriftliche Einladung der Bürgermeisterin von Panevezys.

Vor Ort habe sich der Aufenthalt in der Partnerstadt als harte Arbeitswoche entpuppt. Die nach westlichem Rat verlangenden Litauer hätten die Lüner Abordnung pausenlos beschäftigt, sie durch Betriebe und Verwaltungen geführt und „in viele Gespräche über Möglichkeiten der Hilfe verwickelt“. Nur am freien Sonntag habe man das Angebot angenommen, eine Kooperative beim Jagdausflug zu beobachten. Also doch, eine Dienstreise!

Zwei Wochen lebte die Lüner Öffentlichkeit mit dieser Version. Dann wandte sich der SPD-Fraktionschef wiederum der Presse zu. Er zog seine Bewerbung für den Chefsessel der Stadtwerke zurück, weil deren Aufsichtsrat überraschend für einen anderen Kandidaten votiert hatte. Offensichtlich wolle man nun nicht mehr ihn, den Berufsschullehrer, sondern einen „Techniker“ an der Spitze der Stadtwerke sehen, stellte Hugo B. ernüchtert fest. Betrüblich, betrüblich — der Sinneswandel brachte den Mann immerhin um ein zusätzliches Sümmchen von 220.000 Mark im Jahr.

Am Tag darauf erschienen Erinnerungsfotos — geliefert natürlich von einem unbekannten Absender — aus dem litauischen Jagdrevier in den Lokalblättern. Forsch marschiert da der SPD-Fraktionschef mit geschulterter Büchse und Patronengurt um den Bauch. Ein anderes Bild zeigt ihn fröhlich im Kreise seiner Schieß-Gesellen. „Ich habe keinen Schuß abgegeben“, beeilte sich Jagd-Beobachter B. zu beteuern. Überflüssigerweise — denn die Stadtwerker hatten ihr Urteil über die Glaubwürdigkeit ihres Beinahe-Chefs ja schon gesprochen.

Vergangenen Mittwoch gab der glücklose SPD-Mann nun auch noch seinen Fraktionsvorsitz ab. Der Grund, erklärte der offizielle Jagdausflug-Beobachter, dienstreisende Berufsschullehrer und gewählte SPD-Ratsherr, seien erneute bohrende Fragen der Grünen gewesen: Ob es zuträfe, hatten die Grünen wissen wollen, daß er während seiner Reise ins Litauische ein kapitales Wildschwein erlegt habe? „In diesem Stil“, wehrte sich der gejagte Jäger, „mit mir nicht!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen