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Massen-Abschiebung ab 1. Juli

■ Über 1.500 Flüchtlinge aus Krisenregionen erhalten ab 1.7. keine Duldung mehr

Arabisch, Kurdisch, Persisch und Tamil werden ab 1. Juli in Bremen kaum noch zu hören sein: 1.500 bis 2.000 der rund 50.000 BremerInnen fremder Paßfarbe wird der Briefträger dann eine amtliche Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung zustellen. Der Grund: Am 3. Mai hat — von der Öffentlichkeit bisher weitgehend unbeachtet — die Länderinnenministerkonferenz beschlossen, die bisher übliche Duldung für Flüchtlinge aus den Krisenregionen Libanon, Kurdistan, Iran, Sri-Lanka und weiteren Ländern in Afrika und Asien nicht mehr zu verlängern. In den vergangenen Jahren konnten diese Flüchtlinge aus humanitären Gründen auch dann in Deutschland bleiben, wenn ihre Anträge auf politisches Asyl rechtskräftig abgewiesen worden waren.

Ausnahmen von dieser größten Flüchtlingsvertreibungs-Aktion der Nachkriegszeit wird es dann nur noch für „chinesische Wissenschaftler, Studenten und andere Auszubildende“, für Flüchtlinge aus Äthiopien und Afghanistan und für Christen und Yeziden aus der Türkei geben. Zudem bekommen alle Flüchtlinge, die bereits vor dem 31.12.1985 in die Bundesrepublik gekommen sind, ein gesichertes Aufenthaltsrecht.

Die Flüchtlinge vor den Bürgerkriegen in Sri-Lanka und dem Libanon werden am schwersten von dem Innenminister-Beschluß betroffen sein. Obwohl Massaker, Bombenüberfälle, willkürliche Verhaftungen und Folter in diesen Ländern weiterhin an der Tagesordnung sind, will nach dem 1. Juli auch Bremen von seinem, auch nach dem neuen Ausländergesetz noch vorhandenen, Recht keinen Gebrauch machen, die Abschiebungen in Krisenregionen für weitere sechs Monate auszusetzen. „Die Duldungen laufen am 1. Juli aus, eine Verlängerung ist dann nicht mehr möglich“, bestätigte der Sprecher des Innensenators, Kleen, auf Anfrage der taz.

Rund 10.000 Flüchtlinge sind seit dem Stichtag 1.1.86 nach Bremen gekommen. Nur sehr wenige von ihnen haben es geschafft, eine Anerkennung als Asylberechtigte zu bekommen.

Die Asyl-Akten sollen geschlossen werden.Foto: Katja Heddinga

Denn obwohl Kurden, Palästinenser und Tamilen in ihren Heimatländern immer wieder Opfer rassistischer Übergriffe sind, wird eine „Gruppenverfolgung“ in ihrem Fall vor dem Bremer Verwaltungsgericht nicht anerkannt. Der vom Gericht für das Asylrecht verlangte Beweis einer ganz persönlichen Verfolgung aus politischen Gründen kann von den Flüchtlingen fast nie erbracht werden, denn die Behörden ihrer

Heimatländer stellen keine amtlichen Bescheinigungen über Verhaftung, Folter oder Mißhandlung aus.

Unter den betroffenen Flüchtlingen herrscht zur Zeit große Ratlosigkeit. Sie haben von dem Abschiebe-Beschluß nur indirekt erfahren, als sie feststellten, daß ihre Duldungspapiere gleichlautend nur noch bis zum 30.6. verlängert wurden. Bisher gibt es noch keine offizielle Erklärung darüber, wie die Massenabschiebung der Flüchtlinge organisiert werden soll. Schließlich sind die MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde in der Pfalzburger Straße schon mit ihrer normalen Arbeit völlig überlastet. Das gleiche gilt auch für das Verwaltungsgericht, das zur Zeit gerade über Klagen auf Asylrecht entscheidet, die vor vier Jahren eingereicht wurden.

Besonders hart trifft die geplante Massen-Abschiebung auch viele Kinder und Jugendliche, die in Bremen eine Schul- oder Berufsausbildung begonnen haben. Wenn sie Deutschland jetzt ohne Abschlußzeugnis wieder verlassen müssen, haben sie auch in den Heimatländern ihrer Eltern keine Chance mehr, der drohenden Arbeitslosigkeit zu entgehen.

Eine Gruppe Bremer AnwältInnen, die die Flüchtlinge in ihren Asylverfahren vertreten, haben den Innensenator jetzt dazu aufgerufen, zumindest in solchen Härtefällen nach festgelegten Kriterien eine Aufenthaltsbefugnis „aus dringenden humanitären Gründen“ auszusprechen. Eine weitergehende Aufenthalts-Regelung wie im Nachbarland Niedersachsen hatte Bremen im vergangenen Jahr verweigert. Dirk Asendorpf

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