: Nebel-Sauferei
■ Zigaretten und Skandale
Der Abend lief für beide hervorragend. Zärtlich beugte er sich ihren Lippen entgegen. Da durchlief ein leichtes Zittern sein sensibles Kleinhirn. Dicht vor ihm nahm er den Geruch von Verbranntem wahr. Und dann schmeckte er auch schon den widerlichen Raucherkuß.
Dunkel erinnerte er sich an den Gesandten Johann Joachim von Rusdorff, der über das Rauchen in den Niederlanden 1627 folgendes zu berichten wußte: „Ich kann nicht umhin, jene neue, erstaunliche und vor wenigen Jahren aus Amerika nach unserem Europa eingeführte Mode zu tadeln, welche man eine Sauferei des Nebels nennen kann, die alle alte und neue Trinkleidenschaft übertrifft. Wüste Menschen pflegen nämlich den Rauch einer Pflanze, die sie Nicotiana oder Tabak nennen, mit unglaublicher Begierde und unauslöschlichem Eifer zu trinken und einzuschlürfen.“ Die Abneigung des Kußwilligen läßt sich also zweifelsfrei historisch untermauern.
Seit 300 Jahren wird auch gegen diese Selbstverstümmelung zu Felde gezogen. Ohne nennenswerten Erfolg. Ärzte sind in Sorge: Immer weniger rauchen immer mehr. Das Einstiegsalter wird immer jünger.
In den USA verklagen Witwen von Rauchertoten den Hersteller. Die „Golden American made in Netherlands“ des Bremer Brinkmann-Konzerns kam ins Gerede, als festgestellt wurde, daß einige dieser Zigaretten mit dem verbotenen Aromastoff Cumarin behaftet waren (taz vom 22.11. 1990). Zehn Millionen Zigaretten verschwanden vom Markt.
Die Einführung eines neuentwickelten Zigarettenfilters für die Barclay-Zigarette mit sensationell niedrigen Schadstoffwerten scheiterte an falschen Angaben. Die gerichtlich ermittelten Werte lagen um das Sechsfache über den Firmenangaben. Verantwortlich für die Verbrauchertäuschung war der internationale B.A.T.- Konzern. Auch diese Marke mußte eingestampft werden.
Der größte unter den Tabakverarbeitern ist Phillip Morris. Mit dem Marktanteil der Marlboro (etwa 24 Prozent) sind jährliche Milliardenumsätze garantiert. Was macht es da schon, daß dieser Konzern dem rechtsradikalen US-Senator Jesse Helms finanziell unter die Arme greift.
Der Hamburger Reemtsma- Konzern (R1, West) landete einen sagenhaften Flop im neuen Deutschland. Die westlichen Maßstäben angepaßte Cabinett wurde zum Ladenhüter.
Im ersten Quartal 1991 expandierte der Markt um 3,4 Prozent auf satte 121 verkaufter Lungenfresser. Die Branche wächst schneller, als sich Teer in der Lunge sammelt. Es werden Firmen gekauft, verkauft und zusammengelegt. Nur pleite geht niemand. Aber eine freudige Nachricht für die Nichtraucher gibt es doch: Der Staatspräsident Singapurs hat seit 1986 den Ehrgeiz, sein Land zur ersten Nichtrauchernation der Welt zu machen. Großangelegte Aufklärungskampagnen drückten bis heute den Anteil der Raucher um 50 Prozent. Jörg Goebeler
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