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Du und mein Garten

■ Abschweifungen in der Ausstellung »Lernen im Garten«

Im Klassenzimmer steht ein Videorecorder und davor sitzt eine ältere Dame mit gescheitelt-weißem Haar, die eine etwas spöttische Bemerkung macht, als der Titel zum Selbstporträt der Wilmersdorfer Gartenarbeitsschule eingeblendet wird: »Das letzte Paradies.« Die Frau ist eine Tochter von Erich Kloß, dem Jugendbuchautor (z.B. Der junge Tierschänder) und ehemaligen Lehrer der Gartenbauschule. Frau Kloß kennt das Anwesen seit frühester Kindheit, beobachtet kritischen Blicks seine Veränderungen und lud mich irgendwie dazu ein, am Ort ihrer Kindheit in die eigene hinüberzugleiten.

In einer Gärtnerei aufzuwachsen, bedeutet immer einen Zufluchtsort fern des Wohnzimmers zu haben, ein sicheres Versteck, wo es feucht und warm war und nach nassen Zeitungen roch. Zeitlose Nachmittage verstrichen unter den Beeten, an denen manchmal Männerbeine in Gummistiefeln vorbeiliefen. Dann mußte man sofort mit jeglicher Beschäftigung aufhören und reglos warten, um am Geheimplatz, zwischen Rohren und leeren Kisten, nicht entdeckt zu werden. Mit den Pflanzen war ich unterschiedlich gut befreundet, die liebsten waren mir die wuchernden, uralten und fast schon monströsen Anthurien, die nie jemand haben wollte, aber eigentlich auch die ganz kleinen Stecklinge, denen von morgens bis abends so viel Sorgfalt geschenkt werden muß. Die anderen Pflanzen, die jeden Moment verkauft werden konnten, sahen auf den Karren und in den Kisten einfach nur belanglos-hübsch aus, wenn sie auf die Reise in irgendwelche Blumengeschäfte gingen. Es gab aber durchaus auch einige Sorten, die blöd waren, Weihnachtssterne vor allem, weil die mir ihrer übertriebenen Lichtscheue wochenlang jeden Abend um fünf mit schwarzen Plastikplanen überzogen werden mußten. Sie ähnelten mäkelnden Tanten, die unter beständiger Migräne leiden. Da ließ sich mit anderen Topfpflanzen viel besser spielen, zum Beispiel, wenn man an winterlichen, unbeaufsichtigten Sonntagnachmittagen ungestört aus jedem Gewächshaus die schönsten Prinzessinnen aussuchen und sie dann zu einem Hofstaat zusammentragen konnte.

In der Wilmersdorfer Gartenbauschule gibt es ein kleines Gewächshaus, das noch aus der Gründerzeit, aus den frühen zwanziger Jahren stammt. Über ein Treppchen steigt man hinab in das Glashaus, wo die Pflanzen respektvoll behandelt und individuell gepflegt werden. Sie stehen erhöht und bilden auf den Stellagen kleine Grüppchen, die nie von den Normen industriellen Gartenbaus gehört haben. Es ist ein Museum, dessen Charme es verbietet, ihm diesen Titel zu geben. Hier scheint wirklich ein geeigneter Ort, den Wilmersdorfer Schulkindern etwas über das Wesen der Pflanzen beizubringen — wie es die eigentliche Bestimmung der Gartenbauschule ist. Praktisch-sinnlose Biologie wird gelehrt, mit dem Ziel, das Umwelt- und Ökologiebewußtsein zu fördern. Gärtnermeister Horst Wald: »Die meisten Kinder glauben doch, daß die Tomaten eingeschweißt aus dem Supermarkt kommen. Bei uns erfahren sie, wieviel Arbeit die Aufzucht von Pflanzen macht. Und wenn sie sich selbst mal richtig beim Jäten gebückt haben und ihnen dabei vielleicht sogar der Rücken etwas wehtat, dann treten sie auch draußen so leicht kein Blümchen mehr um!« Um diese Jahreszeit arbeiten die Kinder meistens draußen, säen Radieschen und pflanzen Salat. Sie bauen Vogelscheuchen und hängen an deren Hände wiederum kleine Püppchen, die aussehen, als baumelten sie an einem Galgen. Vormittags kann man Kinder und ihre Lehrer bei der Gartenarbeit beobachten, nachmittags, wenn nur die richtigen Gärtner in großkarierten Flanellhemden mit Schubkarren hin- und herfahren und den Wald- und den Obstlehrpfad pflegen, ist die richtige Zeit für Besucher, die es beschaulicher mögen.

Im Unterschied zum ehemaligen Ost-Berlin war der Unterricht in den zehn Gartenarbeitsschulen im Westteil der Stadt nicht im Curriculum vorgesehen und deswegen wäre, als 1987 der Elektronenspeicherring BESSY II geplant wurde, die Wilmersdorfer Schule wegen Mauerstadtplatzmangels beinahe geschlossen worden. Heute sind es die Ostberliner Pendants, deren Existenz vom großen Abwicklungsstreben bedroht werden. Anläßlich ihres 70. Geburtstages hat die Gartenarbeitsschule in Zusammenarbeit mit dem Wilmersdorfer Museum eine kleine Ausstellung im Klassenzimmer zusammengetragen. Fotos und Dokumente zur Geschichte sind dort zu sehen, über die ursprüngliche Konzeption nach den Ideen der Reformpädagogik, über die ideologische und später strategische Nutzung der Schule während des Nationalsozialismus. Die Gegenwart streift man beim Eintreten in den Klassenraum in Gestalt eines Bananenbaums, der die Besucher freundlich willkommen heißt. Dorothee Wenner

Lernen im Garten. 70 Jahre Gartenarbeitsschule Wilmersdorf. Noch bis 30. Juni, Mi. bis So., 10-16 Uhr, Dillenburger Straße 57.

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