PRESS-SCHLAG: Kassandra läßt grüßen
■ Schlaue Bayern wiegen rote Teufel in Sicherheit
Sieht man einmal von den leidgeprüften Fans des 1. FC Köln und den in Schwermut versunkenen Freunden des FC St. Pauli ab, herrschte am 32. Spieltag in den verschiedenen Bundesligastadien eitel Freude. Keiner kümmerte sich allzusehr darum, was unten auf dem Rasen passierte, die Anlässe zum Torjubel kamen in erster Linie aus Bremen und Wattenscheid. Eigentlich streng verfeindete Fanblöcke übten sich in einträchtigem Chorgesang, etwa in Berlin, wo Hertha- und Club-Anhänger gemeinsam ein vorzugsweise in Bayern beheimatetes Beinkleid aus Leder besangen und die Hertha-Frösche sogar eine Polonaise zu Ehren des 1. FC Kaiserslautern veranstalteten. Die Liga war sich einig: Die Meisterschale wandert in diesem Jahr zum Betzenberg.
Als eifrigste Unterstützer dieser These erwiesen sich ausgerechnet jene, die als einzige die Kaiserslauterer Meisterschaftssuppe noch versalzen können: die Münchner Bayern. „Jaaa“, sagte da der gewitzte Manager Uli Hoeneß, natürlich würden die Pfälzer den Titel holen, der eine Punkt, der rein rechnerisch noch fehle, sei nun wirklich keine Problem. „Neeeeiiin“, scheinheiligte Trainer Jupp Heynckes, jetzt sehe er keine Chance mehr, den Emporkömmling aus Kaiserslautern noch vom Sockel zu stoßen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Zwar müßte es wahrhaftig mit dem (roten?) Teufel zugehen, würde der FCK noch abgefangen, aber verwunderlich ist die Bayrische Optimismus-Abstinenz schon. Schließlich ist es gerade fünf Jahre her, daß die Münchner aus schier aussichtsloser Position noch um Torpfostenbreite an Werder Bremen vorbeizogen. Und warum soll München mit seinem besseren Torverhältnis nicht in Nürnberg und gegen Uerdingen gewinnen, Kaiserslautern aber gegen Gladbach und in Köln verlieren. Es drängt sich der Verdacht auf, daß es sich bei dem Umschwenken der Bajuwaren von der Großmaultaktik zur Demutsgebärde um ein pures pschologisches Manöver handelt, auch wenn wir aus einer etwas zur Indiskretion neigenden Zeitung längst wissen, daß Jupp Heynckes bei seiner Trainerprüfung in Psychologie eine vier hatte.
Nach ihrer anfänglichen Euphorie haben offensichtlich auch die Lauterer gemerkt, woher der Wind weht. Trainer Kalli Feldkamp, der sich schließlich doch noch dazu durchrang, den Bayern „zur Teilnahme am UEFA-Cup“ zu gratulieren, zeigte sich zwar weiterhin überzeugt, „daß uns ein Zittern bis zum letzten Spieltag erspart bleibt“, doch er weiß nur zu genau, daß die Partie gegen Gladbach für das dezimierte FCK-Team auch am Betzenberg keineswegs eine Formsache ist. Abendliche Äußerungen von Labbadia, dem verletzten Kuntz und anderen machten bereits deutlich, daß die roten Teufel ihre heimische Hölle am nächsten Samstag mit äußerst wackligen Knien betreten werden. Kassandra läßt grüßen. Matti
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen