GASTKOMMENTAR: Der Preis der Natur
■ Zur Tagung der Internationalen Walfangkommission in Reykjavik
An welchen Punkten sich internationale Solidarität und die Sorge der Weltgemeinschaft kristallisieren, ist schwer zu erklären. Das Leid der Kurden mobilisierte mehr Anteilnahme als der Hunger in Äthiopien, die brennenden Ölquellen in Kuwait bereiten den meisten Menschen mehr Sorgen als die Waldbrände am Amazonas oder die Verkehrslawinen an Feiertagen, obwohl letztere mehr CO2 ausstoßen. Auch in der Tierwelt haben die Menschen ihre Lieblinge und ihre Stiefkinder. Zum Wal hat der Mensch seit langem ein besonderes Verhältnis. Die Meeressäuger mit der waagerechten Flosse gelten als Brüder des Menschen, von ihrer Faszination leben die immer wieder und immer neu erzählten Geschichten von Jonas, Moby Dick und die Flipperserie. Das Verschwinden der Heringsschwärme hat eher die Fischindustrie als die Öffentlichkeit auf den Plan gerufen. Das Aussterben der Wale hingegen beschäftigt eher die Öffentlichkeit. Bei den Heringen haben Preisanstieg und Selbstbeschränkung zur Erholung der Bestände geführt, bei den Walen hat der Druck der Öffentlichkeit den Fang unterbunden. Nun wollen die Isländer aus der Internationalen Walfangkommission (IWC) aussteigen, weil die ihnen selbst die begrenzte Wiederaufnahme des Walfangs nicht erlauben wollte.
Kein Zweifel, es ist ein Fortschritt, daß es internationale Vereinbarungen zum Schutz der Natur vor Ausbeutung gibt, wir wünschten uns ähnliche Abkommen gegen die Abholzung von Wäldern, auch der nichttropischen, und gegen die weitere Versiegelung von Landschaften. Daß die Ausbeutung der Regenwälder für eine ganze Reihe von Staaten der einzige Weg ist an Devisen zu kommen, um Schulden zu bezahlen, hat man sich inzwischen klargemacht, und die Idee des Schuldenerlasses gegen Regenwaldschutz ist ein durchaus akzeptierter Gedanke. Daß die Bergbauern auf keine Weise mit denen im Unterland konkurrieren können, hat die Schweizer Regierung veranlaßt, mittels ausgeklügelter Subventionen die Bauern dafür zu bezahlen, daß sie die Kulturlandschaft der Alpen erhalten. Beiden Fällen ist gemein, daß es die nationale resp. internationale Gemeinschaft ist, die den Preis für den Erhalt der Natur zahlt, und nicht nur eine Bevölkerungsgruppe alleine.
In Norwegen und Island leben ganze Regionen vom Fisch- beziehungsweise Walfang. Die Möglichkeit der wirtschaftlichen Umstrukturierung dieser nördlichen Regionen ist begrenzt. Was spricht eigentlich dagegen, daß die Weltgemeinschaft diesen Menschen die Wale abkauft, sie dafür bezahlt, daß sie sie nicht fängt? Auch das könnte eine Form sein, der Natur einen Preis zuzumessen, den die Gesellschaft zu bezahlen hat. Naturerhaltung um jeden Preis, das heißt unter Abziehung der Gesellschaft, die von ihr lebt, ist nur die Kehrseite des Raubbaus an Natur unter Absehung ihres Preises. Reed Stillwater
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen