„Wir tappen ein bißchen im dunkeln“

■ Ernst Meibeck von „ACT UP“ Hamburg zum Sinneswandel seiner Organisation gegenüber Philip Morris

Pünktlich zum Internationalen Nichtrauchertag soll die amerikanische Aids-Hilfe-Organisation ACT UP (Aids Coalition To Unleash Power) das Ende des Philip-Morris-Boykotts angekündigt haben. Denn: Der Zigarettenkonzern verdoppelt seine jährlichen Spenden für Aids-Hilfe-Organisationen, will jedoch den durch schwulenfeindliche Äußerungen bekanntgewordenen US-Senator Helms auch weiterhin unterstützen.

taz: Nach euren Angaben handelt es sich bei dieser Presseerklärung um eine verfälschende Darstellung von Philip Morris?

Ernst Meibeck: Tatsache ist, es hat Gespräche gegeben. Wir haben aber innerhalb der ACT-UP- Organisation bisher keinen Anlaß, diese Pressemeldung für bare Münze zu nehmen, weil es sich um eine einseitige Konzernerklärung handelt. Da der Verantwortliche von ACT UP Washington für uns gestern nicht zu erreichen war, tappen wir ein bißchen im dunkeln. Es würde dem Stil von ACT UP widersprechen. Wir schätzen, daß da ein Zwischenergebnis veröffentlicht worden ist.

Das heißt, die Tendenz der Berichterstattung haltet ihr für wahrscheinlich?

Die halten wir für wahrscheinlich. Wir haben auch ausgedrückt, daß wir selbst hier seit einiger Zeit vorsichtig im Gespräch sind mit der Firma. Diese Position wird nicht von allen ACT-UP- Gruppen geteilt.

Ihr habt ja in der Presseerklärung noch eine öffentliche Distanzierung von der Politik des Senators Helms gefordert und vor allem auch die Einstellung jeglicher Unterstützung. Ihr sagt, der Boykott geht weiter, und andererseits sagst du, die Tendenz kann richtig sein.

Wir sind auch etwas verwirrt. Was Philip Morris da verbreitet, ist mit Sicherheit in Amerika noch nicht gegessen. Dazu bedarf es noch mehr als der Presseerklärung und des Gesprächs von ACT UP Washington mit Philip Morris. Und die Position, daß wir auf eine Distanzierung von Jesse Helms drängen, ist sicherlich unabdingbar. Wenn man sich alleine die Hochglanzbroschüren von Philip Morris anschaut, was die alles für menschliche und künstlerische Dinge tun — wie paßt in so ein Bild ein Kommunisten- und Schwulenfresser wie der Helms? Natürlich, wenn in Amerika da ein Stimmungsumschwung stattfindet, wäre diese Position, daß wir hier den Boykott weiterführen, sicherlich nicht haltbar.

Die achte internationale Aids-Konferenz in Boston ist gerade durch die Einreisebeschränkungen für Aids-Kranke in den USA gefährdet. Nach meiner Information geht das Gesetz auf das Konto von Helms. Wäre es nicht unglücklich, jetzt den Boykott zu stoppen?

Da ist für mich ein bißchen Glatteis, wie weit das für den Boykott entscheidend oder ausschlaggebend sein kann. Wir haben hier zunächst mal auf der letzten Bundesversammlung diskutiert, daß wir bei den Annäherungsversuchen, die ja im übrigen zeitgleich mit Amerika passierten, mal auschecken wollten, was da finanziell zu machen ist für Wohn- und Pflegeprojekte für Aids-Kranke. Nachdem jetzt bundesweit viele Modellgelder aus Pflege- und Wohnprojekten zurückgezogen worden sind, sieht das ja teilweise nicht mehr gut aus.

Aber dafür kneift ihr dann in Sachen Jesse Helms ein Auge zu. Die Forderung, sich öffentlich von Jesse Helms zu distanzieren, heißt nicht unbedingt, daß Philip Morris ihn nicht weiter finanziert?

Man sollte auch sehen, daß die Firma nicht ein monolithischer Block zu sein scheint. Das heißt, es gibt da auch Fraktionen, die die Dinge anders sehen und anders steuern wollen. Interview: Sigrid Bellack