: Neonazis drohen Lynchjustiz in Dresden nach Tod von Sonntag an
Eine neue Welle der Gewalt kündigt sich in Dresden nach dem Tod des Neonazis Sonntag an ■ Aus Dresden Detlef Krell
Eine gespenstische Szene erlebten Passanten vor dem Dresdner Filmtheater „Faunpalst“ an der Stelle, wo am Wochenende der Neonazi-Chef Rainer Sonntag Opfer eines brutalen Mordes durch zwei Zuhälter wurde.
Etwa 30 junge Rechtsradikale hatten sich an der Mahnwache für ihren „Führer“ eingefunden, und mit riesigen Knüppeln schlugen zwei von ihnen auf eine Katze ein. Das tote Tier warfen sie in einen Papierkorb. Mehrfach bekam die Polizei Anrufe von verängstigten BürgerInnen, die Gruppen von Rechtsradikalen mit dem Schlachtruf „Rainer, wir rächen dich!“ durch die Stadt ziehen hörten und sahen.
Das Sex-Chopping-Center an der Moritzburger Straße ist nach einem Überfall jetzt völlig verwüstet. Auf dieses Bordell hatten es die Neonazis in der Nacht zum Samstag offensichtlich abgesehen, worauf die Zuhälter zur Selbstjustiz griffen. Die bundesweit gesuchten Nikolaus S. und Ronny M. waren in dem Sexklub beschäftigt. Polizeisprecher Uwe Winkler schließt auch Lynchjustiz gegen die Zuhälterszene nicht aus. Bereits am Sonntag erhielt das Lagezentrum des sächsischen Innenministeriums einen Drohanruf: „Richten Sie sich darauf ein, daß heute ein Blutbad in Dresden angerichtet wird.“ Zur Beerdigung Sonntags, deren Termin noch nicht feststeht, erwarten die Neonazis mehrere tausend Gleichgesinnte aus ganz Deutschland.
„Wir reden nicht, wir handeln.“ Für diesen Leitspruch Sonntags hatten die Dresdner Rechtsradikalen bereits in der vergangenen Woche ein neues Betätigungsfeld gefunden. Nachdem die Polizei wochenlang dem Treiben der ungarischen und jugoslawischen „Hütchenspieler“ zugesehen hatte, nur hin und wieder knöpfte sie einem der Betrüger eine „Ordnungsstrafe“ von 75 DM ab, griff die Sonntag-Truppe zu. Sie faßte sich „Hütchenspieler“ und übergab sie der Polizei. „In Zehnergruppen werden wir Patrouille gehen“, versprachen die Rechten der entgeisterten Stadtverwaltung.
Zumindest des stillen Beifalls vieler DrednerInnen können sie sich sicher sein, denn die Hilflosigkeit der städtischen Ämter gegen die „Spielhölle“ unter freiem Himmel hat den Haß auf die illegalen Glücksspieler aus dem Süden angeheizt. Einige Bürger meinten gar, ihr verlorenes Geld beim Ordnungsamt einklagen zu können.
Die Rechtsradikalen wollen die „Säuberungsaktion“ als „Bürgerinitiative“ beim Oberbürgermeister anmelden. OB Wagner hat sich dazu bisher nicht öffentlich geäußert. Er möchte sich bei Aktionen gegen illegale Händler und Hütchenspieler lieber auf private Sheriffs verlassen. Er will die „Schwierigkeiten der Polizei bei der Bewältigung des Sicherheitsproblems nicht mehr hinnehmen“. Sechs Sicherheitsdienste hätten sich bereits angeboten, erklärte Rathaussprecher Höver. Nur noch das nötige Kleingeld fehlt in der Stadtkasse. Innenminister Rudolf Krause (CDU) will die zunehmende extremistische Gewalt im Kabinett zur Debatte stellen. CDU-Fraktionschef Gohliasch teilte mit, daß seine Partei „noch in diesem Monat“ eine Debatte im Landtag zu diesem Thema beantragen werde. Die Oppositionsparteien im Landtag erklärten inzwischen einstimmig, daß sie diesen Antrag unterstützen.
Ein politisch brisanter Prozeß hat unterdessen vor dem Dresdner Verwaltungsgericht begonnen. Das Deutsche Jugend-Bildungswerk beklagt die Stadt Görlitz wegen eines Demonstrationsverbotes. Die Stadt hatte eine für den 31. Dezember 1990 angekündigte „Jahresabschlußfeier“ des Vereins kurzfristig verboten. Vor Gericht vertritt Christian Worch von der „Freiheitlichen Arbeiterpartei“ (FAP) den bayerischen Kläger. Görlitz begründet das Demonstrationsverbot mit einem erhöhten Sicherheitsrisiko, nachdem Linke eine Gegendemo gegen die als Aufmarsch nationalistischer, rechter Kräfte charakterisierte Feier angekündigt hatten.
Das Deutsche Jugend-Bildungswerk versucht nun hartnäckig, mit einer weiteren Klage ihren langgeplanten Aufmarsch für den 15. Juni des Jahres zu erzwingen. Görlitz sei für seine Organisation eine „interessante Stadt“, erklärte Worch vor dem Dresdner Gericht.
Ein Schreiben der rechten Szene erläutert dieses Interesse näher: „Durch die Wahl des Ortes an der neuen Demarkationslinie sollte auch darauf hingewiesen werden, daß Deutschland größer ist als BRD und DDR, und daß wir, anders als die Bundesregierung, nicht auf deutsches Land östlich der Oder und der Neiße verzichten werden.“
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