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Drogen: Weniger Tote, wenig Hilfe

■ Bürgerschaftsdebatte über die Methadon-Vergabe: Es fehlt an Hilfen für Ausstiegswillige

Während die Gesundheitssenatorin Vera Rüdiger gestern Nachmittag in der Debatte der Bremischen Bürgerschaft trotz unbestrittener Erfolge daran erinnerte, daß es keine wirkliche Lösung des Drogenproblems geben könne, meldete die Polizei den nächsten Toten: ein 23jähriger Mann aus Emden, gefunden in einer Toilette des Bremer Hauptbahnhofes. Wahrscheinlich ist es der 30. in diesem Jahr. Diese Zahl dokumentiert dennoch den Fortschritt, um den andere Großstädte Bremen beneiden: Während die Todesraten überall hochgehen, sind sie in Bremen um ein Viertel im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Immerhin.

Die ärztliche Ausgabe des Ersatzstoffes Methadon sollte allerdings mehr bewirken, als Drogenkriminalität und Todesrate einzudämmen. Mit begleitender sozialer Betreuung sollte Methadon nur ein medizinisches Hilfesmittel sein, das die Selbstausgrenzung beendet und die Reintegration der Abhängigen in normale gesellschaftiche Lebensstrukturen ermöglicht. „Begleitende Hilfen gibt es nicht in ausreichendem Maße“, beklagte die grüne Sozialpolitik-Referentin Caroline Linnert, „Bremen behandelt Methadon als pharmakologische Lösung“. Die FDP-Sozialpolitikerin Annegret Pautzke belagte: „Ärzte verschreiben Methadon unabhängig davon, ob für Betreuung gesorgt ist.“

Nicht nur das: Die Bremische Drogenpolitik bringt Methadon- Bezieher (“Substituierte“ im Sozialhilfe-Jargon) immer wieder mit anderen Drogenabhängigen zusammen. „Substituierte“ werden in dieselben staatlich bereitgestellten Wohnungen geschickt wie die Heroin-Abhängigen.

Ein offensichtlicher Skandal spielt sich sonntags in der Horner Straße ab, wenn die „Substituierten“ zu Dutzenden ins Hauptgesundheits-Amt kommen, um sich ihre Tagesdosis Methadon abzuholen. Um das Gesundheitszentrum herum „wird gedealt, was das Zeug hält“, sagt Linnert, das schöne Wort von der „dezentralen Betreuung“ ziert nur die Sonntagsreden.

In Bremen-Nord gebe es dezentrale Methadon-Ausgabe, konnte Sozialsenatorin Uhl vor der Bürgerschaft berichten. Weiter ist die Dezentralisierung nicht fortgeschritten. Im Hauptgesundheitsamt werden derzeit acht Räume frei gemacht. „Ambulante medizinische Hilfe“ ist das Stichwort. „Das ist fachlich Quatsch“, meint Linnert. Drogenabhängige sollen in den normalen medizinischen Institutionen integriert werden, ärztliche Sprechstunden sind nur in dezentralen Anlaufstellen sinnvoll.

Da die Bereitschaft der Ärzte, Methadon auszugeben, an eine Grenze stößt, könnte sich schnell ein politischer Druck ergeben, in den Räumen im Hauptgesundheitsamt eine zentrale staatliche Methadon-Ausgabe zu installieren — unter einem Dach mit einer zentralen ärzlichen Versorgung für Heroin-Abhängige wäre dies genau der falsche Weg.

Der Bremer Rechtsanwalt und SPD-Beiratsvertreter im Ostertor-Viertel, Dirk Oelbermann, ist jetzt einen unkonventionellen Weg gegangen, die von seiner Partei gestellte Landesregierung zu einer Dezentralisierung des Drogenproblems zu zwingen: Er hat Strafanzeige gegen Innensenator Peter Sakuth gestellt, weil die bremische Polizei den offenkundigen Drogenhandel um das Sielwallkreuz herum duldet. „Strafvereitelung im Amt“ heißt das juristisch, Strafgesetzbuch „§258a ist daher einschlägig“. Bisher hatten sich tolerante Viertel-Bewohner damit abgefunden, da ein massiver Polizeieinsatz die Szene nur verdrängen würde.

Mit dieser Toleranz ist es vorbei. „Auch ordnungspolitische Fragen stellen sich in diesem Zusammenhang“, formulierte der Grüne Abgeordnete Wolfram Sailer verschämt. K.W.

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