: Alles in allem
■ Dantes »Göttliche Komödie« als Trilogie in Köln
Dante Alighieris Göttliche Komödie hat über die Jahrhunderte schon viele Annäherungen erfahren, Botticellis Illustrationen gelten als kongenial, Gottfried von Einems Musik ist heftig umstritten. Doch das Theater als literaturnächste Kunstform ist immer wieder vor ihr zurückgeschreckt, wahrscheinlich gerade deshalb.
So kommt die jüngste Bearbeitung und Inszenierung von Dietmar Kobboldt an der Kölner Studiobühne, dem Universitätstheater, einer Wildwasserfahrt gleich — in unbekannten Gewässern. Den ersten Teil Hölle stellte er jetzt der Öffentlichkeit vor, der zweite Teil seiner Trilogie, der Purgatorio, soll im September, das Himmlische Paradies im November folgen.
Bei Kobboldt wird diese erste Reise durch die verschiedenen Stufen der Hölle, in der die Sünder ihre verdiente Strafe erleiden, zu „einer Reise ins eigene Ich“. Dantes monströse Bildfolge als Schmelztiegel der Gesellschaft im Inneren des Menschen, der durch Konvention und Korruptheit gefangen ist, von Ketten eingeschnürt, die es zu begreifen und zu sprengen gilt.
Kobboldt geht von einfachen Symbolen aus: acht Figuren (das Ensemble). Die verdrießliche Frau im Rollstuhl, sonnenbebrillt; ein verkehrter Tereisias erzählt vergessene Erkenntnis. Der Mann mit der Handpuppe, einem Maulwurf, als kindliche Assoziation zu Dante, der sich durch die Erde, durch die Hölle gräbt. Aber auch: Frau mit Rosen, Mann mit Axt, Frau mit Totenkopf...
Signale, aus dem Text heraus bezogen, die Kobboldt variiert und umkehrt, ins Klischee erhebt, durchbricht und wieder zerstört. Er verdichtet bis ins Unverständliche, man steht fragend vor dem unbekannt Bekannten; die Hölle der Orientierungslosigkeit, wenn auch nur mit den Mitteln des Theaters aufgewühlt, schlägt unweigerlich in Bann.
Es beginnt, wie bei Kobboldts letztem Projekt, der Offenbarung des Johannes, mit scharfer Sprachrhythmik, synchron und kakophon gesprochen, ein einheitlicher Sprachkörper, der sich in symbolische Individuen auflöst, die sich mit Kernsätzen aus der Abfolge der Stationen lösen, damit immer wieder in anderen Situationen auftauchen und so das eine in das andere tragen. Alles steckt in allem, aus der Stationenreise durch die Hölle wird ein vielschichtiges Panorama einer zeitlos höllischen Gesellschaft.
Dabei wagt sich Kobboldt weit über die Textvorlage hinaus; er abstrahiert; die Strichsätze, die er aus dem Text herausbricht, zerdehnt er, macht sie zu Worterlebnissen; eine Altstimme singt, ein Bachchoral erklingt, dabei pulsieren dumpfe Paukenschläge. Um einen in weißes und rotes Licht getauchten Vorhang wandeln schmenhafte Gestalten, Sätze skandierend, schreien, erzählen, weinen.
Eine befremdliche Szenerie, die am Schluß zur Rhythmik zurückkehrt. Der Bogen schließt sich, der (Sprach-)Körper hat sich wieder gefunden, aber er hat nicht mehr die stakkatohafte Prägnanz des Anfangs, er wirkt wirr, ermüdet, resigniert. Der Schrecken ist nun bekannt, aber er hat von seinem Schrecken nichts verloren. Rolf C. Hemke
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