: Warten auf den vierten Aggregatzustand
Diese Woche treffen sich Wissenschaftler zur 18. Europäischen Konferenz über „Gesteuerte Kernfusion und Plasmaphysik“ in Berlin/ Das Zentralinstitut für Elektronenphysik versucht mit dem Plasmasimulator in der Fusionsforschung mitzureden ■ Von Bärbel Petersen
Die Kellerräume des Ostberliner Zentralinstituts für Elektronenphysik gleichen einer Baustelle: Auf dem Zementfußboden liegen bündelweise schwarze Kabel, dazwischen große, blaue Gasflaschen, Handwerker tauchen auf und verschwinden im nächsten Raum. In der Mitte des ersten Kellers ist auf einem Gestell ein silberglänzendes Gebilde aufgebockt, etwa so groß wie ein kleiner runder, umgekippter Ofen. Seinetwegen rotieren nicht nur die Handwerker, sondern auch die Plasmaphysiker, denn bei dem Edelstahlstück handelt es sich um einen Plasmasimulator.
Verantwortlich für seinen Aufbau ist Professor Johann Lingertat. „Dieser Simulator läßt sich tatsächlich mit einem Ofen vergleichen. Uns beschäftigt die Frage, wie die Ofenwand beschaffen sein muß, damit das Feuer lange hält und nicht ausgeht“, beschreibt der Plasmaphysiker seinen Forschungsgegenstand. Während bei einem Ofen die Qualität des Schamotts eine Rolle spielt, interessiert den Physiker die Beschaffenheit des Edelstahls, aus dem die Wand des Simulators besteht.
Spanplatten, Kupferrohre und Edelstahl
Schwer vorstellbar, wie der Keller aussehen wird, wenn in zwei Monaten mit den Experimenten begonnen werden soll. In einer Ecke türmen sich quadratische Spanplatten. Aus zwei Metallschränken hinter dem Simulator quellen Stromleitungen, die noch angeschlossen werden müssen. Dazwischen blinken Kupferrohre, durch die das de-ionisierte Kühlwasser fließen wird. Diese Rohre müssen noch mit den vielen Nippeln an den beiden Magnetspulen, die neben dem Simulator stehen, in Verbindung gebracht werden. Die Spulen wiegen jeweils 600 Kilogramm und lassen sich nur per Kran an den Simulator anschließen. Sieben sehr dünne Leitungen aus Edelstahl, durch die einmal Wasserstoff strömen wird, der primäre Brennstoff dieses „Ofens“, verlaufen an der Decke. Wenn alles angeschlossen, verputzt und verstaut ist, wird in dem Simulator ein Medium erzeugt, unter dem sich der Laie nur schwer etwas vorstellen kann.
Es ist das Plasma, ein ionisiertes Gas aus Wasserstoff, das auch vierter Aggregatzustand genannt wird. In diesem Zustand haben sich die Wasserstoffatome in ihre Bestandteile, nämlich Elektronen und Atomkerne, zerlegt. Das alles geschieht bei unvorstellbaren Temperaturen, die höher als die der Sonne sind. Den Zerfall der Atome nennt man Fusion, wobei das Plasma die Rolle des Brennstoffs übernimmt. Zum Zünden des Fusionsfeuers wird das Plasma in ringförmigen Magnetfeldern eingeschlossen und auf hohe Temperaturen gebracht. Oberhalb von 100 Millionen Grad Kelvin zündet es, das heißt, die Wasserstoffkerne (Deuterium und Tritium) verschmelzen miteinander zu Helium, wobei nutzbare Energie freigesetzt wird.
„Das ist keine schlaue Erfindung“
Lingertat und sein Team beschäftigen sich seit 14 Jahren mit einem Teilbereich der Fusionsforschung, der sogenannten Plasma-Wand- Wechselwirkung. „Wir erforschen den Übergang des heißen Plasmas auf eine Wand, wo normale Werkstofftemperaturen um 1.000 Grad Celsius herrschen“, erläutert der Physiker. Der praktische Zweck liegt darin, eine Technologie zu finden, die eine geeignete Wand mit einer genügenden Lebensdauer für das Hochtemperaturplasma hervorbringt. „Damit kann dann ein Fusionsreaktor gebaut werden“, erklärt Lingertat.
Diese Reaktoren sind genauso umstritten wie die Atomreaktoren. Denn Tritium ist radioaktiv. Bei hohen Temperaturen diffundiert es durch Metalle hindurch und ist daher schlecht oder gar nicht zurückzuhalten. Tritium kommt in der Natur nicht vor und muß aus Lithium erbrütet werden. Litium reagiert chemisch sehr aggressiv mit Luft, Wasser und Beton. Das bestätigt auch Lingertat. Aber für ihn, der sich mit Leib und Seele der Plasmaphysik verschrieben hat, ist der Fusionsreaktor die einzige Alternative einer langfristigen Energieversorgung. Aber richtig Strom liefern werden Fusionsreaktoren frühestens Mitte des nächsten Jahrhunderts.
Lingertat räumt jedoch ein, daß erneuerbare Energiequellen, wie Sonne und Wind, wichtig seien und entwickelt werden müssen, aber „es gibt zur Zeit keinerlei Sicherheit, daß mit solchen Energiequellen der Energiebedarf voll abgedeckt werden kann“. Und überhaupt ließen sich Fusionsreaktoren sofort abschalten und es gebe keine Kettenreaktionen: „Das ist keine schlaue Erfindung, sondern eine Tatsache der Natur.“
Diese „Tatsache“, daß nämlich beim Verschmelzen der leichten Wasserstoffatomkerne gewaltige Energien freiwerden, haben sowjetische Physiker herausgefunden, darunter Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow. Das Ergebnis ihrer Entdeckungen brachte schon während des zweiten Weltkrieges die erste Wasserstoffbombe.
Lange war das Moskauer Kurschatov-Institut, in dem die Bombe gebaut wurde, für Ausländer tabu. Auch DDR-Physikern blieb das Kurschatov-Institut trotz enger freundschaftlicher Beziehungen zur Sowjetunion versperrt. Erst 1976 bahnte sich eine Zusammenarbeit an. Einer der ersten Ausländer, die danach im Institut arbeiten durften, war Lingertat. Die DDR steuerte vor allem drei hochwertige Geräte für das Tokamak-Projekt bei, der am weitesten fortgeschrittenen Richtung in der Fusionsforschung, die von den Physikern selbst entwickelt wurden. Dazu Lingertat: „Wir haben ein Meßgerät, das die Temperaturen von Bauteilen im Inneren des Tokamak mißt, installiert. Außerdem lieferten wir noch ein Thermografiegerät, sowie einen Laser-Fluoreszensapparat, mit dem sich die Konzentration von Verunreinigungen im Plasma feststellen lassen.“ Inzwischen halten sich die Plasmaphysiker nicht mehr so oft in Moskau auf, weil das nötige Geld fehle, meint Lingertat. Trotzdem wollen sie ihre Geräte weiter nutzen, nur nicht wie bisher mit 80 Prozent ihrer Kapazität. Und bald haben die Berliner einen eigenen Simulator und sind nicht mehr so auf andere Forschungseinrichtungen angewiesen.
Riesenhuber macht Geld für den Simulator locker
Noch zu DDR-Zeiten begannen die Plasmaphysiker mit diesem Projekt. Im vorigen Jahr suchten sie dann nach potentiellen Geldgebern und wurden fündig: Im Jülicher Kernforschungszentrum, bei Euroatom und natürlich auch im Bonner Bundesforschungsministerium, was nicht verwundert, denn seit einem Jahrzehnt steckt das Ministerium wesentlich mehr Geld in die Fusionsforschung (seit 1983 über 1,2 Milliarden Mark) als in regenerative Energien und in die rationelle Energieforschung.
Als sich Ende des vergangenen Jahres das Aus für die meisten Institute in der ehemaligen DDR anbahnte, erwischte es auch das Zentralinstitut für Elektronenphysik. Da meldete sich das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching und bot den Berlinern eine Angliederung an. Kontakte zwischen den Plasmaphysikern gab es schon vor dem Fall der Mauer, sei es auf Workshops oder in Moskau, wo auch die Garchinger Versuche machten. Jetzt wollen die 40 MitarbeiterInnen um Lingertat und andere ein neues Thermografiegerät entwickeln, daß beim Tokamak-Experiment in Garching, dem „Asdex-Upgrade“, eingesetzt werden soll. Solche Oberflächen- Messungen an Inneneinbauten im Tokamak sind nichts besonderes, aber, so Lingertat, „man muß wissen, wie man das interpretiert, da haben wir durch Moskau unsere Erfahrungen“. Aus dem Pendeln zwischen Berlin und Moskau ist nun die Route Berlin-Garching geworden.
In dieser Woche hat das Zentralinstitut für Elektronenphysik über 500 Wissenschaftler nach Berlin zur 18.Europäischen Konferenz über die „Gesteuerte Kernfusion und Plasmaphysik“ eingeladen. Bisher ist weder der Nachweis für die technische Realisierbarkeit noch für die ökonomische Verwertbarkeit der Kernfusion gelungen. Niemand vermag zu sagen, ob sich die Millionen rentieren werden, die bisher in die Fusionsforschung geflossen sind. Das hält Lingertat und alle überzeugten Plasmaphysiker jedoch nicht davon ab, auch weiterhin auf Fusionsreaktoren zu setzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen