piwik no script img

DDR-Zwangsadoptionen ein Medienspektakel

■ Pressekonferenz von Jugendsenator Krüger über die Arbeit der Clearingstelle/ Riesiges Fernsehaufgebot

Berlin. Das Thema Zwangsadoptionen in der DDR ist für die Medien ein auflagensteigerndes Geschäft. Unerträglich indiskrete Nahaufnahmen von weinenden Eltern sind im Spiegel TV zu sehen, seitenlange und schreiende Betroffenenberichte in den Boulevardblättern. Als der Berliner Jugendsenator Thomas Krüger (SPD) gestern bei einer Pressekonferenz einen Zwischenbericht über die Arbeit der kürzlich eingerichteten Clearingstelle für Zwangsadoptionen verteilen wollte, wurde ihm das Papier von den aufgeputschten Journalisten regelrecht aus der Hand gefetzt. Anwesend war ein Aufgebot von Fernsehteams, wie man es sonst nur bei Staatsbesuchen gewohnt ist.

Und dabei wollte Krüger die Öffentlichkeit nur bitten, sensibler als bisher mit dem Thema Zwangsadoptionen umzugehen. Die in der Presse genannten Zahlen von »zehntausend« Fällen sei viel zu hoch gegriffen, auch die Äußerungen von Bundesfamilienministerin Rönsch über »eine hohe Dunkelziffer« entspreche nicht den bisherigen Erkenntnissen. Die erste vorläufige Aktendurchsicht bei den Bezirksämtern habe ergeben, daß die große Mehrheit aller Adoptionsfälle in Ost-Berlin auch nach bundesdeutschem Maßstab rechtens seien.

In der für Beratung zuständigen Clearingstelle in der Alten Jakobstraße seien seit der Gründung am 24. Mai ungefähr 50 Anfragen eingegangen. Bei sechs untersuchten Fällen bestehe der dringende Verdacht auf »staatliches Kidnapping«. Den Eltern sei aus politischen Gründen das Erziehungsrecht geraubt worden. Krüger bedauerte, daß es außer in Berlin keine Beratungsstelle gebe. Weil die Eltern zu den Jugendämtern kein Vertrauen hätten, weil sie dort — oft zu Recht — die gleichen Personen wie vor der Wende vermuteten, wendeten sie sich nach Berlin. Aus anderen ostdeutschen Bundesländern seien bisher acht, aus der alten Bundesrepublik fünf Anfragen eingegangen.

In einem besonders »inhumanen« Fall wurde einer Mutter aus Magdeburg geraten, eine Strafanzeige zu stellen. Nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe wegen »antisozialistischer Umtriebe« sei der Frau ihr damals dreijähriger Sohn genommen worden, im Mai 1990 (!) sei das Kind dann zur Adoption freigegeben worden.

Zwölf Jugendliche hätten sich gemeldet, die — weil sie nichts über ihre frühere Familie wissen, vermuten, daß sie zwangsadoptiert worden seien. Gemeldet haben sich auch Adoptiveltern die jetzt befürchten, daß die leiblichen Eltern Anträge auf die Aufhebung der Adoption stellen könnten. Krüger räumte ein, daß in einigen Fällen den Eltern das Erziehungsrecht auch nach bundesdeutschem Regeln entzogen worden wäre.

Der Jugendsenator sprach sich ferner für eine Verlängerung der Frist auf Wiederaufhebung der Adoptionen aus. Auf jeden Fall müßten juristische Auseinandersetzungen auch bei festgestellten Fällen von Zwangsadoptionen möglichst vermieden werden, zumal die Kinder meist volljährig seien. Für das beste, hält Krüger, die Eltern politisch zu rehabilitieren und »eine Brücke zu den Kindern zu schlagen«. aku

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen