: Goldene Worte in Oslo
■ Nobelpreisträger Gorbi unbeirrbar für Perestroika
Oslo(dpa/taz) — Heftiger heimischer Kritik zum Trotz ließ es sich der sowjetische Präsident nicht nehmen, seine im vergangenen Jahr „innerpolitischer Gründe wegen“ verschobene Dankes-Rede zur Verleihung des Friedens-Nobelpreises jetzt nachzuholen. Seine Abrechnung mit dem autoritär-bürokratischen System, dessen Erbe er 1985 antrat, fiel in bisher nicht gehörter Schärfe aus. Ergebnis der „Stagnationsphase“ war, daß „eines der reichsten Länder der Welt, mit enormen Möglichkeiten auf allen Gebieten, in voller Fahrt auf dem Weg in den Abgrund war“. Der Präsident sprach von drei Hauptaufgaben. Es gehe darum „den demokratischen Prozess auf der Grundlage eines breiten gesellschaftlichen Konsenses und einer neuen verfassungsmäßigen Struktur unserer Union als einer wahrhaft freien und freiwilligen Föderation zu stabilisieren“. Zweitens müsse „die Wirtschaftsreform intensiviert werden, um eine gemischte Marktwirtschaft, gegründet auf ein neues System der Eigentumsverhältnisse, zu schaffen“. Drittens gelte es, „entschlossene Schritte hin zur Weltwirtschaft zu unternehmen, wie die Konvertibilität des Rubel, die Annahme ,zivilisierter Spielregeln‘, die auf dem Weltmarkt gelten, und die Mitgliedschaft in der Weltbank und im IWF“.
Gorbatschow äußerte sich prinzipiell positiv zum Selbstbestimmungsrecht der Nationen in der bisherigen Sowjetunion, band sie aber nach wie vor an die umstrittenen Kautelen: „Wir erkennen die legitime Wahl der Völker in dem Sinne an, daß, wenn ein Volk mittels einer echten Volksabstimmung beschließt, aus der Union auszutreten, dies eine gewisse, vereinbarte Übergangsperiode erfordert“.
Der sowjetische Präsident bekannte sich „unverrückbar“ zur Perestroika und deren welthistorischer Bedeutung. „Ich bin Optimist und glaube, daß es uns gemeinsam gelingen wird, eine richtige weltgeschichtliche Wahl zu treffen.“
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