: Gekreuzigte Gummitonnen
■ „Kontraste“: 14 KünstlerInnen kommentieren urbane Grünzwickel / Eine Führung
Will die StädterIn auf Besuch im grünen Wald die Wilderdbeeren am Wegesrand und den Specht hoch droben im Baum entdecken, muß sie ihre Augen offenhalten.
Das muß sie auch, um alle Objekte der Breminale-Kunst „Kontraste“ in den Wallanlagen zwischen Kunsthalle und Weser und in den Fußgängertunneln zu finden.
Understatement bis zur Unsichbarkeit haftet manchen Objekten an. Leise bis spielerisch, bissig bis karikierend klagen sie die Grobschlächtigkeit der Städter im Umgang mit ihren Natur- Resten an. Oder ahmen die Natur nach, wie das städtische Gartenbauamt. Zwingen den Blick der hastenden Passantin in Baumkronen, auf Gras und Wasser. Guten Willen und pfadfinderische Fähigkeiten der BetrachterIn voraussetzend, wirkt manches augenöffnend. Folgender Rundgang sei empfohlen:
Holzbalkenobjekt. Hinterlassenschaft?Foto: S.H.
Start ist im Tunnel zur Weser. Dort begab es sich unlängst, daß ein großer Hund die Wand ableckte. Er hatte recht: Im Tunnelknie prangt ein mildgelb angespachteltes Fast-Quadrat aus vier Kilo Margarine auf den kaltdreckigen Wandkacheln in fast ebensolcher Farbe (Rolf Bier, Hannover).
Linker Hand geht's zur Weser. Ein paar Schritte nach rechts finden aufmerksame Augen im Weserwasser an Pollern hängend eigenartige Früchte — offenkundig verwandt mit Schiffsfendern. Die zwiebelförmigen Ballons aus Stoff und Gummi wirken wie durch die Sonne und das Wasser verblichen. Tatsächlich sind sie den Gezeiten ausgeliefert (Gabriele Regiert, Hannover/Bremen).
Durch Schwarzlicht magisch grün schimmernde Flußmäander ziehen sich über die Decke des Tunnels zum Schnoor. Eingefleischte BremerInnen erkennen den maßstabsgetreuen Bremer Weserverlauf mitsamt Hafenbecken (Hubert Fabian, Köln).
Nach der Tunneldurchquerung geht die Kunstguckerin zurück über die Altenwallkreuzung. In der von Verkehr umtosten Gestrüpp-Insel wartet ein himmelblauer Küchenstuhl auf Ruhe (Cornelia Aberle, Bremen).
Auf der Wiese zwischen Altenwall und Kunsthalle wollen sich zwei rote Signaltonnen von einem Rasenende zum anderen etwas zurufen, aber ihre Mäuler sind durch Felsbrocken geknebelt. Von einem Baum seilen sich rote Blechsegel ab (Carl Vetter, Ham
hierhin bitte
die Balken
gekreuztes nach oben
burg). Wie Hundehaufen verstreut, verstecken sich industriegefertigte, schrecklich-geflieste Hundetränken im Gras (Thomas Stordel, Hamburg). Das Objekt aus Holzbalken schmiegt sich wie eine vergessene menschliche Hinterlassenschaft an einen alles überdauernden Baum und droht der Erdgravitation nicht mehr lange standzuhalten (Thomas Werner, Hamburg).
Jenseits des Weges verweht der Wind schwarze Erde und gelbe Ähren aus breiten Streifen. Ein segelförmig aufgestelltes „Landschaftsbild“ (Katrin Taverni, Hannover).
Der Weg führt nun zum „Ehrenmal“-Rondell. Das steht in gelben Druckbuchstaben MENSCH an den alten roten Steinen. Am Fuß der Mauer liegt ein flacher Stein mit gelben Fußabdrücken, die die Angesprochene dazu auffordern, mit einem alten Baum „Kontakt aufzunehmen“. Das klappt. (Cornelia Aberle, Bremen)
Auf der angrenzenden Plattform sollte die KunstguckerIn verweilen. Hier geschieht etwas. Schwarze Gummitonnen hängen zusammengesunken, wie gekreuzigt, in drei riesigen, quaderförmigen Aluminiumgestellen. Inmitten steht ein mehrfach operierter Baum. In seiner durch Stahlverspannungen zusammengehaltenen Krone stößt ein Lautsprecher intervallisches Dröhnen aus. Auseinandersetzung mit dem geschichtsträchtigen Platz (Jochen Wüstenfeld, Cuxhaven).
Hinter dem Rondell Richtung Kunsthalle trägt die abfallende Wiese einen überdimensionalen, eingemähten Fingerabdruck (Doris Cortes-Vollert, Hamburg). Orientierung verloren?
Mensch, dem Wasser ausgeliefert, zieht Kompaßnadeln zu Rate. Fünf davon, nach Norden ausgerichtet, die fühlbaren Lettern SÜDEN im Geländer-Rücken, taumeln vor dem Überweg zum anderen Ufer im Wasser (Ariane Epars, Penthalaz/Hamburg). In Nachbarschaft zum Entenhäuschen musiziert unhörbar für's menschliche Ohr ein Strauch Aluminiumschilf. Die wehenden Halme stehen auf zwei Wünschelrutenbeinen im Wasser (Anne Baisch, Bremen). Am gegenüberliegenden Ufer winden sich grün sprießende Weidenruten wasserfallartig eine Treppe zum Wasser herunter (Veronika Maier, Bremen). Auf dem Weg zum Kunsthallencafe findet Hansguckindieluft noch „Tarzans Bungalow“: dreieckige Kunststoff-Folien machen Ast- Deltas zu Naturfenstern (Walter Mertel, Köln).
Kontraste, das heißt auch: Kontrast zur lärmenden Breminale. Jürgen Göpfrich, seit vier Jahren Organisator der Bildenden Kunst auf der Breminale, setzt damit sein Konzept einer „autonomen“ Begleitausstellung, das heißt ohne Mitmach- und Kulissenfunktion fort.
Nachwort. Unsichtbarkeit als Konzept — gut und schön. Aber das Kontraste-Faltblatt ist aus Mangel an ebensolchen (weiß auf hellgrau) und einem unübersichtlichen Plan schlicht unbrauchbar. Auch Kunst, die sich der Natur anschmiegt, will gesehen werden. Beate Ramm
Bis 30.6.; am 8./9.6., jeweils 16.00 Uhr, führt Göpfrich an den „Kontrasten“ vorbei. Ab Kunsthallencafe.
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