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Ausgewechselte Geschichte

■ Kunstamt Prenzlauer Berg zeigt Ausstellung zur unendlichen Geschichte von Straßenumbenennungen im Bezirk/ CDU hat 50 Straßen auf der Liste

Prenzlauer Berg. Soll die Wilhelm- Pieck-Straße wieder zur Lothringer Straße werden, die Willi-Bredel- wieder zur Schivelbeiner, die Kollwitz- zur Weißenburger oder die Knaackstraße zur Treskowstraße? Beispiele in der aktuellen Debatte um die Rückbenennung von Straßen im Bezirk Prenzlauer Berg. Das Kunstamt des Bezirks will mit einem Beitrag besonderer Art die öffentliche Diskussion vorantreiben: In dieser Woche eröffnete Kunstamtsleiterin Daniela Guhr im 1988 gegründeten Heimatmuseum des Bezirks eine in Berlin bisher einzigartige Ausstellung. Bis zum Ende des Jahres zeigt die Ausstellung »Mit der Geschichte leben. Straßen und Plätze im Bezirk Prenzlauer Berg« eine Sammlung von über 100 Straßen und Plätzen, die seit der Gründerzeit ein- oder gar mehrfach umbenannt worden sind.

In der Hauptstadt der Deutschen war man nie zimperlich mit der Entsorgung von Geschichte: Die Ausstellung und noch mehr der Katalog illustrieren exemplarisch die verschiedenen Stufen von Geschichtsklitterung, je nach herrschender politischer Ideologie. Die Mehrzahl der Straßen in Prenzlauer Berg entstand im Kaiserreich, die Siedlungsentwicklung begann vor etwa 160 Jahren. Die erste große Umbenennungswelle fand zu Beginn des »Dritten Reiches« statt: Die Nationalsozialisten tilgten die Spuren von Juden und Sozialisten, Kommunisten und Künstlern — der jüdische Schriftsteller Rodenberg mußte dem völkischen Langbehn weichen, im Legien-Viertel von Bruno Taut wurden ganze Straßenzüge, benannt nach Gewerkschaftern, zu Schauplätzen des Ersten Weltkriegs.

Die zweite große Umbenennungswelle nahm der SED-Staat vor: Zu Beginn der 50er Jahre erstellte der Magistrat von Berlin auf Geheiß der Sowjets ein ganze Liste von neuen Namen, hauptsächlich von Widerstandskämpfern wie etwa Ernst Knaack, Käthe Niederkirchner oder Walter Husemann. Zum Teil wurden die historischen Namen geändert, NS-Größen oder preußische Generäle wurden entweder zurückgenommen oder erneut umbenannt.

Die dritte Welle steht jetzt kurz bevor: Heute will die CDU eine Liste von 50 Namen in ganz Berlin vorlegen, die ihrer Meinung nach vordringlich zurückbenannt werden sollen. Ein internes Papier der Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe umfaßt annähernd 200 Namen, von Dimitroff über Pieck zu Weinert oder Bredel. Zumindest in Prenzlauer Berg will man die Entmachtung der Bezirke beim Straßengesetz nicht einfach hinnehmen. In der BVV wurde in dieser Woche ein Sonderausschuß gegründet, der bis zum Jahresende nach breiter öffentlicher Diskussion eine Liste vorlegen will. kd

»Mit der Geschichte leben«, Prenzlauer Allee 64, Di-Fr 11-17 Uhr, So 13-18 Uhr, bis zum 20.12.91, Eintritt frei.

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