: USA gegen Wirtschaftshilfe für Sowjet-Perestroika
■ Neue politische Geographie der OECD/ Gorbatschow darf zum Gipfel
Paris (afp/dpa/taz) — Die Wirtschaftsminister der 24 Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben zum Abschluß ihrer Jahrestagung einhellig erklärt, Osteuropa beim Übergang zur Marktwirtschaft unterstützen zu wollen. Der neuen politischen Geographie des Gremiums zufolge zählt freilich die Sowjetunion nicht länger zu Osteuropa. Zwar werden in der Abschlußerklärung ausdrücklich mißliche negative Folgen der Wirtschaftskrise in der Sowjetunion für den Welthandel angesprochen. Doch von konkreten Maßnahmen für Moskau ist an keiner Stelle des Dokuments die Rede.
Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann blieb mit seiner Forderung, der Sowjetunion „nicht nur Pfennige, sondern Dollar und Pfund“ zur Verfügung zu stellen, allein auf weiter Flur. Aus Delegationskreisen verlautete, insbesondere die USA hätten Vorbehalte gegenüber umfangreicheren Hilfen für die ins Schlingern geratene sowjetische Wirtschaft geltend gemacht. In das gleiche Horn stieß der stellvertretende EG-Kommissionspräsident Frans Andriessen, der westliche Unterstützungsleistungen erst dann gewährt wissen will, wenn die Sowjetunion wirtschaftliche und institutionelle Änderungen in größerem Maßstab durchgeführt habe.
Diese differenzierte Haltung der westlichen Industrieländer gegenüber den östlichen Transformationsökonomien schlug sich auch in der Beschlußfassung nieder. Partnerschaftsverträge wurden allein mit Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn abgeschlossen. Diesen Ländern wird damit die Möglichkeit eröffnet, an OECD-Aktivitäten wie der ständigen Analyse der strukturellen und konjunkturellen Entwicklung ihrer Wirtschaften teilzuhaben sowie am Expertenwissen der Organisation zu partizipieren. Die Partnerschaftsverträge sind der Auftakt zu einem neuen Programm, das den marktwirtschaftlichen Übergang der Transformationsökonomien erleichtern und ihren möglichen späteren Beitritt in den Klub der Industrieländer fördern soll. Mit diesen Verträgen sind zwar keine direkten finanziellen Leistungen verbunden. Sie verleihen den drei neuen Partnerländern aber eine bessere Reputation, die insbesondere bei der Neuaufnahme von Krediten beim internationalen privaten Bankensystem hilfreich sein kann.
Einen kleinen Erfolg scheint Wirtschaftsminister Möllemann in Paris allerdings erzielt zu haben. Wie am Rande der Konferenz bekannt wurde, scheint die Teilnahme des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow am Londonder Weltwirtschaftsgipfel vom 15. bis zum 17. Juli jetzt doch festzustehen. Ob die persönliche Anwesenheit Gorbatschows ausreichen wird, um insbesondere den Widerstand der USA gegen eine koordinierte westliche Hilfe für die Sowjetunion aufweichen zu können, darf mit Spannung verfolgt werden.
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