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In Güstrow läßt ein Energiekonzept auf sich warten

In den Kommunen der Ex-DDR ist ein Tauziehen zwischen Stromkonzernen und Stadtwerken um die Versorgung mit Strom und Fernwärme entstanden  ■ Aus Güstrow Frank Brendel

Die Betriebsangehörigen des Rohbraunkohle-Fernwärmekraftwerks Rövertannen sind beeindruckt. Dietrich Graf, Prokurist der Westmecklenburgischen Energieversorgungs AG (Wemag), hat ihnen soeben sein Energieversorgungskonzept für die Stadt Güstrow vorgestellt. In Güstrow, sechs Kilometer von Rövertannen entfernt, läßt sich fast jeder vierte Haushalt der 35.000-Einwohnerstadt mit Wärme aus Rövertannen versorgen. Damit das so bleibt, will die Wemag 120 Millionen Mark in das Kraftwerk investieren. In die Wemag wiederum haben die Hamburger Elektrizitätswerke (HEW) investiert; sie halten jetzt 51 Prozent der Anteile und stellen fast den gesamten Vorstand. Und neben der hohen Investitionssumme wirkt auch das selbstsichere Auftreten der alerten Westdeutschen nachhaltig auf die Belegschaft des Fernwärmewerks.

Kein Wunder, daß Jürgen Mahrwald, kaufmännischer Direktor der neuen Stadtwerke Güstrow und Gegenspieler der Hamburger, kaum zu Wort kommt. In seinen Plänen ist kein Platz für die Dreckschleuder in Rövertannen, und er hält damit nicht hinter dem Berg. Pfiffe, Buhrufe und höhnisches Gelächter sind die Quittung. Mahrwald will den bisherigen Standort mit seiner sechs Kilometer langen und zehn bis 15 Prozent Wärmeverlust produzierenden Trasse nach Güstrow aufgeben. Er hat kleine, dezentrale Blockheizkraftwerke in Güstrow im Auge, die Wärme und Strom erzeugen.

Dem Einwurf eines Arbeiters, was dann mit den 120 Arbeitsplätzen in Rövertanne passiere, weicht Mahrwald aus: Er selbst wisse nicht, "wieviel Arbeit hier noch vor uns liegt“. Nicht gerade geschickte Rhetorik — wieder muß sich der Stadtwerkedirektor Gelächter gefallen lassen. „Selber schon mal arbeitslos gewesen?“, wird gefragt. Die Antwort gibt ungefragt ein anderer Zwischenrufer: „Die Bürokraten und Funktionäre verarschen uns doch genauso wie früher!“

Das muß Jürgen Mahrwald schmerzen — der gebürtige Rostocker war letztes Jahr selbst arbeitslos. Erst nach dem Zusammenbruch der DDR profitierte der gelernte Agrarwissenschaftler von seiner Parteilosigkeit. Nachdem er sich als Abteilungsleiter für Zivildienst in Güstrow profiliert hatte, stieß er durch Tips aus dem Westen auf eine zentrale Frage, wer denn die kommunale Strom-, Gas-, Wasser- und Fernwärmeversorgung in den neuen Ländern übernehme. Mit Unterstützung von Greenpeace, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Kommunen aus den alten Bundesländern wurde Mahrwald Fachmann für Energieversorgung und Energierecht.

Obwohl auf der Betriebsversammlung in Rövertannen in erster Linie Versorgungskonzepte und deren Realisierungschancen diskutiert werden, versteckt sich das eigentliche Problem hinter Verträgen und Paragraphen. Im Sommer 1990 schloß die damalige Regierung de Maizière mit den westdeutschen Stromversorgern den sogenannten Stromvertrag. In ihm wird den Energiekonzernen der Zugriff auf die gesamte Energieversorgung in den neuen Ländern zugesichert. Dieselbe Regierung hat aber auch das Kommunalvermögensgesetz auf den Weg gebracht. In diesem wird den ostdeutschen Städten und Kommunen die Rückübereignung des vom SED-Regime enteigneten kommunalen Vermögens zugestanden, zu dem auch die Stadtwerke gehören — ein Anspruch, der zudem im Einigungsvertrag festgeschrieben wurde.

Der Marburger Verwaltungsrechtler Peter Becker sieht in diesem Widerspruch keinen Nachteil für die ostdeutschen Kommunen. Im Gegenteil: „Gesetz geht vor Vertrag“, so die Rechtaufassung des Anwalts, der zahlreiche Städte im Kampf um ihre Stadtwerke vertritt. Becker rückt ein anderes Problem in den Vordergrund: Eine Oberfinanzdirektion, die für die Klärung der Besitzansprüche an den Stadtwerken zuständig wäre, existiere in den neuen Ländern noch gar nicht. Offizielle Verwalterin der Anlagen ist weiterhin die Treuhand. Sie jedoch hält still und läßt sich verklagen. Keine ungewöhnliche Haltung, da die Treuhand im Entscheidungsfall für die ostdeutschen Städte und Kommunen mit Gegenklagen der westdeutschen Stromriesen rechnen müßte. So werden sich die streitenden Parteien wohl noch auf längere Zeit juristisch blockieren. Problematisch ist, daß bei der ungeklärten Rechtslage keine Seite die dringend notwendigen Investitionen sofort in Angriff nimmt — schließlich läßt sich auch noch nichts verdienen.

Dabei ist gerade die Stromversorgung ein lukratives Geschäft. So hat die Stadt Freiburg im Breisgau im Jahre 1989 einen Gewinn von 45 Millionen Mark aus ihren Stadtwerken gezogen und in den chronisch defizitären Bereich des öffentlichen Nahverkehrs umgeleitet. Die ostdeutschen Kommunen könnten solche flotten Gewinne gut gebrauchen.

Doch selbst das geht nicht so schnell. Fähige Ingenieure und Verwaltungsfachleute müßten Mahrwalds Pläne voran treiben — und die sind auf dem Arbeitsmarkt rar gestreut. Das hat zur Folge, daß sich Mahrwald letztendlich wohl mit seinen Gegnern an einen Tisch setzen muß und nur darauf hoffen kann, die Mehrheit an den zukünftigen gemeinsamen Stadtwerken bei der Stadt Güstrow zu behalten. Danach können sich die Kontrahenten über die unterschiedlichen Versorgungskonzepte streiten: Für eine Großanlage in Rövertannen spricht deren größere Effizienz; die Fernwärme wäre für den Kunden billiger. Mehrere kleine Anlagen haben den Vorteil, umweltverträglicher zu sein, da es leichter ist, sie nur im Bedarfsfall ans Netz zu hängen. Aber sie sind teurer und arbeitsplatzintensiver.

Im Streit um das künftige Energiekonzept hofft Mahrwald auch auf den Rückenwind der öffentlichen Meinung: Die Rövertannen-Belegschaft wird wohl bald auch bei den Stromkonzernen nach der Sicherheit und Zukunft ihrer Arbeitsplätze nachhaken. Und hier sieht es so rosig nicht aus: In dem von der Wemag geplanten kombinierten Steinkohle-Gaskraftwerk soll zwar Strom und Fernwärme erzeugt werden; von den jetzt 120 Beschäftigten dürften in der hochmodernen Anlage aber nur noch sehr wenige Arbeit finden. Derartige High-Tech-Kraftwerke werden von wenigen Ingenieuren und einer handvoll qualifizierter Helfer gefahren.

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