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„...und ging heim ins Wort“

■ Shoah, Exil, Schrifstellerinnen und ein stummer Vortrag

Das Thema der Münchner Literaturwissenschaflterin Birgit Erdle letzten Montag in der Villa Ichon hätte ins Zentrum der Reihe „Schriftstellerinnen im Aufbruch“ führen sollen: „Das Verstummen sprechen. Sprache und Sprachlosigkeit in den Texten exilierter deportierter Schrifstellerinnen“. Von den meist weiblichen Zuhörern verließen einige den Vortragssaal vorzeitig, von den Gebliebenen fragten einige die Referentin, was sie habe sagen wollen.

Birgit Erdle gab zwei Antworten. Die eine wiederholte die These, deren Illustration der Vortrag gewesen war, daß die Sprache berichten muß von einem Geschehen, das sich der Sprache entzieht, der Aporie, für die Erdle die Pariser Philosophin Sarah Kofmann zitierte: „Wie nicht davon sprechen? Und wie davon sprechen?“ Das andere Interesse: Sie wollte an Namen von jüdischen Autorinnen erinnern, die sie lesenswert findet.

Beide Absichten zusammengenommen ergaben einen wortreich stummen Vortrag, bei dem für neun Schrifstellerinnen mit höchst unterschiedlichen Schicksalen jeweils einige dürre Sätze zur Biografie abfielen und hier und da ein mageres Zitat aus ihrer Arbeit. Oft genug war dann auch dieses Zitat noch so ausgewählt, daß es nichts hergab als eine Bekräftigung und Abwandlung der Ausgangsthese vom außersprachlichen Charakter des traumatischen Geschehens. So, wenn wir von der Dichterin Rose Ausländer wenig mehr erfuhren als, daß sie die Sprache als „traumatisches Heim“ in der Heimatlosigkeit beschreibt, oder von der Lyrikerin Stella Rotenberg den Satz „Das Exil ist nicht darstellbar.“

Daß außerdem so unterschiedliche Erfahrungen wie die eines Konzentrations- oder Vernichtungslagers und die eines Exils gleichermaßen als sprachlich Nichtdarstellbares behandelt werden, ist ein weiteres Nebenprodukt eines Vorgehens, das eher eine Aporie illustrieren als darüber Auskunft geben will, mit welchen Mitteln wer welche Erfahrung ausdrückt.

Daß man so von kaum jemand wirklich etwas erfuhr, liegt nicht am Grauenhaften des Themas, das zur Folge haben müßte, wie Birgit Erdle meinte, daß alle Sätze, die ihm in die Nähe kommen, „sich in der Nähe der Banalität bewegen.“ Es hat nichts mit Auschwitz zu tun, wenn ein Vortrag zugleich so papieren-hochtrabend und kursorisch ist, daß man fast nichts durch ihn erfährt. Es hat damit zu tun, wieviel Erfahrung Wissenschaft aufnimmt und darstellen kann.

Es gibt Ausnahmen, die ich nicht vorenthalten will. Birgit Erdle zitierte ein Gedicht von Else Dormitzer (1877 — 1958), die in Theresienstadt war, dem „Vorzeigelager“, in das die Nazis das Rote Kreuz hineinsehen ließen. Das Gedicht spricht über das „Jucken, Beißen und Krabbeln“ der „Wanzenplag“, so rüttelnd und schüttelnd fidel wie Wilhelm Busch über die Maikäfer, kritzekratze, aus Onkel Fritz seiner Matraze.

„Wanzen“ bedeutet die Gefahr, sich zu infizieren, und Infektion bedeutete die Verlegung von Theresienstadt in ein Tötungslager. Davon spricht das Gedicht nicht. Aber der fidele Ton im Kampf gegen die Wanzen ist und mobilisiert offensichtlich Überlebensenergie. Eine Energie, die auf das Grauen reagiert, die es aber vermeidet zu nennen.

Und noch einen Satz habe ich mitgenommen aus dem Vortrag. Der stammt von Hilde Domin, der, im Exil, die deutsche Muttersprache das letzte war, das ihr niemand nehmen konnte. Der Satz stammt aus einem Gedicht, in dem sie beim Erwachen all das wuchernd fruchtbare, exotische Mangogefruchte im Gelobten Land um sich herum sieht. Aber nicht „Äpfel“ und nicht „Weizen“. Zum Beispiel. Und dann der Satz: „Und da stand ich auf und ging heim ins Wort.“

Uta Stolle

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