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Spielwut, wiederholt wiedergeholt

■ Jan Fabres neuestes Stück „Sweet temptation“ in Frankfurt

Der Flame Jan Fabre, 33, Liebling der europäischen Theater- und Kunstszene, hat ein neues Stück herausgebracht: Sweet temptation (Süße Verlockung). Spekulationen über eine Eule wechseln ab mit Slogans und Worten aus Fernsehshows. Kein Schauspiel oder Ballett mit Hilfsverben, sondern ein Musikdrama mit einem Schlagzeug, das über 18 Geldspielautomaten thront, mit Zwillingen an der Gitarre und Richard III., der die Mundharmonika bläst.

Diese Zwillinge sitzen in elektrischen Rollstühlen und beobachten eine Eule auf einem Ast. Sie sprechen drei Sätze, dann bricht die unvermittelte Kakophonie los. Krankenschwestern spielen in einer TV- Show: Ambulanz gegen Psychiatrie. Die Zwillinge werden aus dem Rollstuhl gehievt, entkleidet, nackt auf dem Boden abgelegt. Die Schwestern geraten außer Rand und Band, ein Iggy Pop (Els Deceucelier) tobt über die Bühne — und gleich ist's wieder mucksmäuschenstill.

In Sweet temptation deklamieren die Großen des Welttheaters, Faust und Richard III. Die Tänzerinnen liegen dabei rücklings auf Sockeln der Geldspielautomaten, in Bikinis und auf Stöckelschuhen, ihre Körper senken sich über das Rückgrat, langsam, den Kopf rückhals über den Sockel.

Das — wie Fabre es nennt — Vergleiten der Bilder, der Wechsel von Chaos zu reflexiven Momenten wird getragen durch ein Gesetz: größtmögliche Klarheit der Bilder und Bewegungen. Fabre insistiert auf dem perfekten Synchronismus und auf Stimmigkeit — qua Wiederholung. Sein Muster aus Perfektion und Wiederholung, das er in seinen Ballettarrangements Das Glas im Kopf... und zuletzt in Frankfurt mit The sound of one hand clapping in die Nähe des vollkommenen Stillstands eines Tableau vivant trieb: Hier entzieht er sich dieser Zuordnung, einer der großen Minimalisten des Theaters zu sein, und verschafft sich Geltung mit einer durchaus unterhaltsamen Show. Als Arrangeur, als Komponist des Theaters, als sonderlicher Komponist. Er kennt nur laut und leise, grell und dunkel, molto presto und andante, Kakophonie und Geflüster. Dazwischen gibt es nichts, auch keine Interpretation von Sweet temptation, kein theatralischer Inhalt.

Was neu ist: Fabre läßt seine Tänzer Charaktere werden, Individuen, nicht länger Tänzer einer „monochromen“ Choreographie. Jäh bricht die ausgelassene Party auf der Bühne ab, immer wieder, mündet in Stille, wie wenn man der Ausgelassenheit einer lauten Fete für einen Moment entkommt, vor die Tür zum Atemholen gegangen ist oder leise zu weinen beginnt, vom Trubel plötzlich nichts mehr bemerkt, taub wird vor Ausgelassenheit.

Das Plötzliche ist Fabre zum Vergnügen geworden, die Abruptheit. Die Wiederholung einzelner Sätze, Passagen und Bewegungsabläufe — einst bis zur völligen Verausgabung der Akteure bei Die Macht der theatralischen Torheiten, später als Wiederholung bis zum Stillstand und völligen Vergleiten der Zeit — dieses Wiederholen wird in Sweet temptation nun buchstäblich: die Wiederholung als etwas wieder holen, Geld zurückholen etwa. Die Geldspielautomaten, einarmige Banditen, die um die Bühne herum aufgestellt sind, gehen im vorletzten Bild in Betrieb und spucken Geld. Die in dem Spiel Ambulanz gegen Psychiatrie entkleideten Zwillinge tanzen parallel einen grotesken Tanz, wann immer ein Apparat Geld ausspuckt. Der Zwang zur Wiederholung, die jeden Spieler befällt und der nichts anderes mehr will als die Wiederholung einer Reihe, einer Kombination, einer Glückssträhne — und dies mit der Leidenschaft, die alles andere vergessen macht: Hier ist es das Maß von Fabres Theater — ein Spiel im Sinne der zweiten Silbe von Schau- Spiel.

Insofern knüpft Fabre nach seiner „minimalistischen“ Phase an seine ersten Theaterarbeiten an, die Regie und Komposition nur als Spielregel begreifen, durch die auf der Bühne alles echt und alles (auch erotische) Leidenschaft werden kann. Arnd Wesemann

Jan Fabre: Sweet temptation, Theater am Turm, Frankfurt, 8.und 9. Juni, 20.30 Uhr, Hebbel Theater, Berlin: 27.und 28.Juni.

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