: Herr Bürgermeister ist halt Grüner
Im oberschwäbischen Maselheim residiert der erste direktgewählte grüne Bürgermeister der Bundesrepublik. Der paßt zwar nicht in das Klischee einer Provinzgröße, wurde aber mit satter Mehrheit gewählt. ■ Von Mathias Petry
Eigentlich kann das gar nit sei“, sagt Elmar Braun, 35, „daß i Bürgermeischtr bin.“ Gemütlich lümmelt er in seinem Sessel und schält mit aller Konzentration eine Apfelsine. „I bin Grüner, i heb en unähelichen Sohn, i bin Öko-Baur, und i geh nit in d'Kirch.“ Trotzdem durfte er seinen Job als Biologie-Laborant kündigen: 51,7 Prozent der Wahlberechtigten der Gemeinde Maselheim im oberschwäbischen Landkreis Biberach wollten, daß er ins Rathaus einzieht. Eine grüne Laus im schwarzen schwäbischen Pelz. Am 2. Mai trat Elmar Braun seinen Dienst als erster direktgewählter grüner Bürgermeister in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland an.
„Das ist schon ein merkwürdiges Gefühl. Letzte Woche war ich bei einem Blaskonzert, weil ich mir gedacht hab', daß ich mich bei den Vereinen auch einmal sehen lassen muß. Und als ich reinkam, haben alle zu tuscheln angefangen: Des isch doch der Braun!“ Der Herr Bürgermeister muß sich noch an vieles gewöhnen. Zum Beispiel daran, daß er in derartigen Veranstaltungen an vorderster Stelle begrüßt wird, noch vor dem ehrwürdigen Herrn Pfarrer. „Da hob i mir denkt: heidenei!“
Elmar Braun paßt so gar nicht in das Klischee des Landbürgermeisters. An einer Fensterscheibe seines mit viel Liebe renovierten geerbten Hofes klebt ein „Atomkraft — nein danke“-Aufkleber, neben der Eingangstür hängt ein hölzerner Briefkasten mit eingeschnitzer Sonnenblume. Der Herr Bürgermeister mag die Stones, die Beatles und ärgert sich noch heute, daß er für das Pink- Floyd-Konzert im Stuttgarter Neckarstadion anno 1989 keine Karte bekommen hat. In seinem Bücherregal stehen Werke von Erich Fried neben Manfred Deix, eingekeilt zwischen Böll und Brecht wartet Werner sechsbändig beinhart auf Bölkstoff und die Eintragung des neuen Bierdosenhalters beim TÜV. Elmar mag Werner. Beide sind sie Motorrad- Freaks. 1982 war Braun baden-würtembergischer Vizemeister in der 250er-Klasse. Mehrmals ist es ihm gelungen eine seiner beiden Yamahas bei Läufen zur deutschen Meisterschaft unter die ersten Zehn zu fahren. „Oben auf dem Speicher hab' i sooo a Schachtel voll mit Pokale“, grinst er und deutet mit den Händen einen guten halben Meter an. Eine der Maschinen steht heute, neun Jahre nach Beendigung seiner aktiven Laufbahn, im ersten Stock auf dem Flur, zugedeckt mit einer DDR- Fahne, die er irgendwo noch ergattert hat.
Der Mann ist ein Tausendsassa. 1976 begann er als Nebenerwerbsbauer im Maselheimer Ortsteil Sulmingen, wo er auch geboren wurde, zu arbeiten, kurz nachdem er seine Lehre beendet hatte. Heute bewirtschaftet Braun knapp neun Hektar Grund nach dem Prinzip Fünffelderwirtschaft, Vieh hat er längst weggegeben, abgesehen von ein paar Hühnern, die hinter dem Hof gelangweilt aber zufrieden vor sich hingackern. Zur Zeit stellt er seinen Betrieb um, er will so ökologisch wie nur möglich arbeiten. Wie steht es denn mit seinem Verhältnis zur konventionellen Landwirtschaft? „Ich sehe die Notwendigkeit für manche Bauern in der jetzigen Situation, die Bewirtschaftung zu intensivieren.“ Punkt. Das heißt im Prinzip weiterwirtschaften wie bisher. Dröhnend schwebt ein nicht ausgesprochenes Aber durch den Raum.
Neben der Mehrfachbelastung Arbeit, Hof, Motorradfahren hat sich Elmar Braun seit 1979 politisch engagiert. Zunächst im Sulminger Ortschaftsrat, dann eine Periode lang im Maselheimer Gemeinderat, seit 1984 im Biberacher Kreistag. 1986 rückte er sogar in den erweiterten Landesvorstand der Grünen Baden- Würtembergs vor, bei denen er seit 1983 Mitglied ist. Dann kam der große Bruch. „Ich habe keine Chance gesehen, meine politischen Vorstellungen in die Diskussion einzubringen und schmiß alles hin.“ Das war 1989. Sein Versuch, dem Landesvorstand die positiven Aspekte des ländlichen Wertkonservatismus zu vermitteln („Das Gute belassen, das Schlechte verändern“), war gescheitert.
Doch war er nur zur falschen Zeit gekommen. In Baden-Württemberg, lange in fester Realo-Hand, hatten die Fundis Ende der achtziger Jahre mehr und mehr Fuß gefaßt. Braun fand mit ihnen auf sachlicher Ebene nur wenige Gemeinsamkeiten: „In der Kommunalpolitik fühlen sich die Fundamentalisten nicht zu Hause“, sagt er. „Sie wollen die Welt verändern und sehen nicht, daß auch darüber entschieden werden muß, ob am Straßenrand ein Apfel- oder ein Kirschbaum gepflanzt werden soll.“
Bei den Kommunalwahlen, die in Baden-Württemberg unabhängig von der Bürgermeisterwahl laufen, und bei den Wahlen für den Parteivorstand 1990 kandidierte er nicht mehr. Lediglich im Kreistag blieb Braun für die Grünen aktiv.
Gewählt, obwohl er Grüner ist
Dann aber nahte die nächste Bürgermeisterwahl. Der Freie Wähler Roland Schmid hatte nach 28jähriger Amtszeit genug. Als dessen Nachfolger kandidierte einzig ein CDU- Mann, der sich seiner Sache so sicher war, daß er zunächst nicht einmal ein Programm entwickelte. Das entfachte Elmar Brauns Ehrgeiz aufs Neue. Wenigstens wollte er den CDU-Mann soweit bringen, daß er Farbe bekennt. Braun wanderte durch die Gemeinde, hielt mit den Bürgern kleine und große Schwätzle, stellte sich und seine Ideen vor und siehe da: Der CDU-Mann bekam im ersten Wahlgang nicht die erforderliche absolute Mehrheit. Da legte Braun noch einen Zahn zu: „Der Schultes eine Grüner?“ fragte er seine Mitbürger und lieferte die Antwort gleich mit: „Ein Bürgermeister soll parteipolitisch unabhängig sein. Er muß anders handeln als ein Gewählter in einem Parlament. Der Bürgermeister hat für alle da zu sein.“ Braun bewarb sich als unabhängiger Bürgermeister, der im Privatleben nun mal Grüner ist, und das stach letztendlich. Im zweiten Wahlgang genügte die einfache Mehrheit. „Die Bürger haben nicht den Grünen Elmar Braun gewählt, sondern den Menschen. Sie haben mich gewählt nicht weil, sondern obwohl ich ein Grüner bin.“
Dennoch jubeln die Grünen Baden-Württembergs. Einer der Ihren hat es geschafft. Wunderdinge erwarten sie von Elmar Braun nicht. Auch als Bürgermeister hat er schließlich nur eine Stimme im Gemeinderat. „Meine Parteifreunde wissen ganz genau, auf welche Gratwanderung ich mich begeben habe“, sagt Braun. Immerhin haben sie ihm zumindest bis zur nächsten Wahl sein Kreistagsmandat belassen. Obwohl ein Grundsatzbeschluß des Landesvorstandes besteht, der das eigentlich nicht zuläßt. „Ein Kreistagsmandat bringt einem Bürgermeister enorme Vorteile.“ Und das, obwohl sich für ihn als grünen Abgeordneten neue Zwangspunkte auftun. Soll er tatsächlich gegen einen Bürgermeisterkollegen wettern, der eine neue Straße bauen will, wo er vielleicht auch bald mal einen Radweg oder ähnliches beantragen muß? „Ich lebe mit zwei Seelen in meiner Brust.“
Immerhin findet er bei den Grünen heute wieder mehr Übereinstimmung denn je. Mit einiger Genugtuung hat er in Neumünster beobachtet, daß die „Fundis in den letzten Zügen liegen“. Für Braun war es mehr als notwendig, daß die Partei sich endlich für eine Linie entschied. Zwar will er sich selbst nicht festlegen: „Ich bin reformpolitisch orientiert. Ich versuche zu sehen, was pragmatisch ist.“ Grundsätzlich findet er aber: „Das Problem dieser Partei ist, daß viele Mitglieder sich nicht als Teil dieser Gesellschaft begreifen, daß sie sich hier nicht zu Hause, sondern wie in Feindesland fühlen.“ Der neue Landesvorstand war Brauns Ansicht nach sogar noch mutiger als der Bundesvorstand: „Rotation weg, stärkere Hierarchie, eine etwas konservativere Organisation, die pragmatisches Arbeiten erleichtert“, zählt Braun auf. „Nein, die Parteiverdrossenheit ist praktisch weg.“
Wir fahren durch seine Gemeinde. Hier fühlt sich Elmar Braun zu Hause. 4.704 Hektar groß ist sie, 4.112 Einwohner (oder ist letzte Woche nicht irgendwo ein Kind zur Welt gekommen?), seit 1974 ein Konglomerat aus den ehemaligen Einzelgemeinden Maselheim, Laupertshausen, Ellmannsweiler, Heggbach, Schnaitbach, Zum Stein, Äpfingen und Sulmingen. Gewerbe: kaum, die meisten Bürger „schaffe auswärts“, sagt Braun. Es gibt ein großes Franziskanerkloster, eine Museumsbahn (s'Öchsle), ein ehemaliges Schloß, ein Naturfreibad mit Kiesuntergrund und ein bausündiges Rathaus aus der Neobetonik, schmal, hoch und häßlich. Elmar Braun soll dem Fotografen posieren. Locker schlägt er den Trench-Coat zur Seite, schiebt eine Hand in die Hosentasche, der Bogart-Hut tief im Gesicht, ich seh Dir in die Augen, Kleiner. Der Mann hat inzwischen Medienerfahrung. Er ist schließlich eine mittlere Sensation.
Erst mal kleine Brötchen backen
Von Zeit zu Zeit unterbrechen wir die Fahrt, steigen aus, sehen uns ein wenig um. Für den Bürgermeister ist eine solche Rundfahrt Arbeit. „Ja, der Herr Braun“, schwäbelt es ihm von allen Seiten entgegen, „herzlichen Glückwunsch auch.“ Und schon beten sie eine ganze Litanei von Wünschen herunter, der Oberstleutnant vom Männerchor, der Landwirt mit seinem Großbetrieb, und wen immer wir treffen. Zwei Knaben winken aus einem Manta- Light herüber — ja der Elmar! — der Bürgermeister winkt zurück, der Wahlkampf ist niemals ganz vorbei.
Eine harmonische Gemeinde. Hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Doch plagen den jungen Bürgermeister schon die ersten finanziellen Probleme. Die Pro- Kopf-Verschuldung von 825 D-Mark wird nach Fertigstellung der bereits beschlossenen Mehrzweckhalle erst in die Höhe schießen. In Laupertshausen deuten sich Probleme mit dem Nitrat im Grundwasser an. Selbst nach fast siebzehn Jahren unter einem Dach sind die Kluften zwischen den gebietsreformierten Gemeindeteilen nicht abgebaut. Die Zentralisierung der Wirtschaft hat Leben und Arbeit zu getrennten Welten gemacht, umweltverträgliche Gewerbeansiedlungen hält Braun für vordringlich.
Im Moment aber muß er ganz kleine Brötchen backen. Der Grüne sieht sich einer erdrückenden schwarzen Mehrheit gegenüber. „Ich weiß, daß es schwierig wird“, sagt er sehr ruhig. „Ich werde mich jetzt erst einmal sehr zurückhalten und in die Situation einarbeiten. Mit Grabenkriegen ist schließlich niemandem geholfen.“ Braun glaubt nicht, daß die CDU ihn nur abblocken wird. „Immerhin hat mich ja die Mehrheit der Bürger gewählt, und wenn die CDU ständig gegen mich schießt, schneidet sie sich ins eigene Fleisch.“
Kindliche Freude über Kleinigkeiten verbinden sich in Elmar Braun mit Sachkenntnis, Verantwortungs- und Demokratiebewußtsein und jeder Menge Idealismus, dem Willen, für die Gemeinde mit voller Kraft zu arbeiten. Noch graut es ihm durchaus ein wenig vor dem ganzen Verwaltungskrieg, der ihn inzwischen vereinnahmt. Andererseits scheint die Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen im Rathaus durchaus vielversprechend zu werden, er kennt sie alle schon länger.
Unter schwarz-grünen Argusaugen
Die erste Arbeitszeit ließ sich jedenfalls gut an. Was er bisher in unzähligen Gesprächen mit den Kollegen gelernt hat, findet Braun „interessant“ bis „spannend“. Doch kommen auf den jungen Bürgermeister nicht nur aufgrund der Sachfragen harte Monate zu: „Die Schwarzen werden schauen, daß ich nicht zu grün werde, und die Grünen, daß ich grün genug bleibe“, lächelt er. Aber ausgerechnet vom bekanntermaßen konservativen Landrat Dr. Wilfried Steuer, dem Schwager des baden- würtembergischen Kultusministers Gerhard Mayer-Vorfelder, erhielt Braun ein nett frotzelndes Gratulationsschreiben, das ihm durchaus Mut zu machen vermochte. „Ich freue mich“, schreibt Steuer darin, „daß auch einmal einer meiner grünen Kreisräte was geworden ist, und auch die Kreiskrawatte ihren Teil dazu beitragen konnte.“ Die allerdings muß Elmar Braun sich erst wieder besorgen. Denn seine erste wurde ihm am Abend des Wahlsieges abgeschnitten. Was das wohl für ein Omen sein mag?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen